Kunstquartier Venedig
: Teenage-Trash-Fotografie

■ Statt Stahlgewitter Wetterleuchten: Erste Gegenveranstaltungen zur Biennale

Ist das Wetter wechselhaft, freut sich der Venezianer. Dann streicht er seine Haustür und fegt den Vorgarten. Gestern hat es allerdings gewittert, und nun bilden sich größere Farbblasen an der Decke der Jugendstil-Besenkammer, in der unsereiner Unterschlupf gefunden hat. Aber das ist ja noch ganz und gar harmlos: Mancher vegetiert hier nämlich momentan auf See vor sich hin.

Der amerikanische Foto- und Textkünstler Sam Samore hat seit zwei Nächten nicht mehr schlafen können auf seinem Hausboot unweit der Giardini, die über das Wasser des Canale Grande flitzenden Blitze haben ihn alle paar Minuten aus der Koje gejagt.

Natürlich ist Samore nicht hochoffiziell von einem der Länder-Kommissare eingeladen, sondern ganz im Gegentum: Seine Arbeit gehört zu den zahllosen Alternativ-Veranstaltungen, die derzeit rund um die Giardini wuchern wie Würstchenstände. Ein Grieche hat vor den Pavillons eine bohrinselgroße Installation mit surrealistisch übereinandergetürmten Regenschirmen aus rostfreien Edelstahlsieben aufgebaut – auf einem kleinen Kahn an der Hafenpromenade, versteht sich. Und etwa hundert Meter weiter liegt ein Schoner vor Anker, auf dem besagter Sam mit bald 30 anderen KünstlerInnen „on board“ ausstellt.

„On board“ passiert wie so vieles dieser Tage eher am Rand. Die Wiener Kuratorin Karin Schorm hat zusammen mit dem Pariser Theorie-Kunst-Theoretiker Jérôme Sans zwei Dutzend KünstlerInnen eingeladen, die nun ihre Sachen ortsspezifisch über das Schiff verteilt haben. Von der US-Amerikanerin Wendy Jacob hängen knallgelbe Rettungswesten an Deck, Maurizio Nannuci hat eine Neonröhre am Bug festgemacht und der Exil- Inder Sudesh Prasad eine Seekiste voller Archivmaterial an der Reling vertäut. Prasad benutzt für seine Arbeit über Emigranten Zahnbürsten, Seifenreste und sonstige Überbleibsel, die er auf S. Giorgio Maggiore, einer kleinen Venedig vorgelagerten Insel gefunden hat. Dort werden Asylanten bis zu ihrer Anerkennung oder eben Abschiebung verwahrt.

Überhaupt versteht sich das ganze Projekt als Mischung aus Poesie und sozialem Engagement. Samore etwa hat im Schiffsinneren kurze Textzeilen angeklebt, mit denen er auf die melancholische Situation von Matrosen anspielt, die über Monate fern der Heimat grübelnd auf See ausharren müssen. Es ist eine Homage an Melvilles Reiseromane und an Werner-Herzog- Filme. Ansonsten aber ist die Moral an Bord ganz hervorragend: Die Leute klettern schon am frühen Nachmittag wagemutig, weil betrunken, zwischen Segeln und Masten umher.

Derweil wird im Gebäude der ehemaligen Aperto noch gebastelt. „Campo“ präsentiert ausschließlich junge Fotografie, die bereits am Tag vor der Eröffnung als das eigentliche Ereignis der Biennale gefeiert wird: Eine Mischung aus Rock'n' Roll, Teenage- Trash, Drama, Romantik und Godard-Zitaten.

Sharon Lockhart hat den deutschen Revolutions-Pop in Form von Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer blaß am Hamburger Hafen portraitiert, Cathy Opie ein bis an die Zähne tätowiertes Heavy-Metal-Pärchen aus L. A. Vor nachtblauem Grund.

Die Iranerin Shirin Neshat macht Selbstportraits, auf denen sie mit dem Colt in der Hand und unter einem Schleier aus arabischen Schriftzeichen posiert. Noritoshi Hirakawa zeigt kleine schwarzweiße Pißpfützen, die er als heimliche Zeichen der Asozialität bei Sonnenaufgang in Tokio aufgenommen hat.

Es geht genauso gegen die eigenen kulturellen Codes wie gegen die der anderen; vor allem aber geht es um die Liebe zur Fotografie, die sich noch im grob gekörnten Raster auf den Dingen und Gesichtern widerspiegelt. Harald Fricke