Manchmal reichen Stützstrümpfe

Am Wochenende wird in Kassel die feministische Partei „Die Frauen“ gegründet – als „Alternative zur Männerdominanz in den Parteien“  ■ Von Ulrike Helwerth

Die Liste der InteressenvertreterInnen von Autofahrern, Naturgesetzlern, Bayern, bibelfesten Christen, Zentristen, sozial Schwachen und anderen deutschen Volksgenossen war lang: Neben den etablierten Parteien registrierte der Wahlleiter der Bundestagswahlen des Jahres 1994 mehr als 30 Gruppierungen. Darunter auch eine „Frauenpartei für menschliche Politik“, die dann doch nicht antrat. Der feministischen Partei „Die Frauen“ soll das nicht passieren. Kommendes Wochenende soll sie in Kassel gegründet werden und bei den nächsten Bundestagswahlen 1998 schon dabeisein.

Begründung: um „mehr Macht für Frauen“ gerade auch in Bonn zu gewinnen, denn „alle bestehenden Parteien werden von Männern dominiert, und Frauen haben dort nur dann eine Chance, wenn sie sich den Interessen von Männern unterordnen“. So steht es zumindest im Gründungsaufruf, der seit einigen Monaten kursiert.

Rund 300 Unterstützerinnen hat er bisher gefunden. Wie ein „Who's who“ des bundesdeutschen Feminismus liest sich die Liste nicht gerade. Bekanntere Namen, wie der der Linguistin Luise Pusch, der Geschichtsprofessorin Annette Kuhn oder der Rechtsanwältin Alexandra Goy, sind rar gesät. Doch setzt die Initiative statt auf „Promis“ sowieso lieber auf „Frauen aus der Mitte der Bevölkerung“, wie Mitgründerin Jutta Oesterle-Schwerin sagt.

Die einstige grüne Bundestagsabgeordnete verließ vergangenes Jahr ihre Partei, nach einer frustrierenden Niederlage bei der Besetzung der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl. Ihr Fazit lautet seither: Die Grünen sind moralisch abgewirtschaftet, feministische Politik hat bei ihnen keine Chance mehr. Der PDS traut sie auch nicht mehr zu, das Angebot eines sicheren Platzes auf der hessischen Landesliste schlug sie aus. Statt dessen trat sie in ihrem Bonner Wahlkreis als parteilose Direktkandidatin an. Ergebnis: 0,7 Prozent. – Ob das Projekt Frauenpartei, hervorgegangen aus den Koordinationstreffen zum FrauenStreikTag 1994, beim weiblichen Wahlvolk besser ankommt, wird sich zeigen. Schon die Sprache könnte zum Problem werden. Der Entwurf für die Präambel des Programms liest sich eher wie das Flugblatt eines autonomen Frauen-und-Lesben-Blocks und nicht wie das Vorwort zum Programm einer Partei, die die Frauen aus der Mitte – auch der ostdeutschen – Bevölkerung erobern will.

Die Botschaft allerdings ist schlicht, unangekränkelt vom jahrelangen Schwesternstreit um Differenzen und Konkurrenzen, den die Initiatorinnen für akademisch und basisfern halten. Alles dreht sich um das Kollektivsubjekt Frau. Denn die Verhältnisse sind eindeutig: Alle Übel dieser Welt, von A wie Armut bis Z wie Zwangsheterosexualität, „sind Werke von Männern. Sie sind in den Köpfen von Männern entstanden und werden unter der Herrschaft von Männern ausgeführt.“ Frauen – die Opfer.

Und weiter: „Wir versprechen uns von einer Politik von Frauen eine vernünftigere, am Leben und an den Bedürfnissen aller Menschen orientierte Herangehensweise an sämtliche politische Fragen.“ Frauen – die besseren Menschen. Das erinnert schwer an die Bewegungstraktate der 70er Jahre. So politisch korrekt wie antiquiert (bloß keine Zugeständnisse an den patriarchalen Zeitgeist!) – und so wenig originell wie animierend.

Die Zurückhaltung, die dem Projekt „Die Frauen“ bislang aus frauenpolitischen (akademischen!) Kreisen entgegenschlägt, der Mangel an prominenten Unterstützerinnen ist also sicher nicht nur den heimlichen oder unheimlichen Konkurrenzängsten von grünen und anderen Feministinnen geschuldet. Denn einer solchen Idee sind viele „im Prinzip“ durchaus geneigt.

Aber eine solche Partei muß sich verkaufen. Als Protestbewegung oder mit einem Thema, das neu ist oder zumindest so erscheint. Was das Programm diesbezüglich hergibt, war bislang nicht zu erfahren. Jedoch sickerten ein paar „Highlights“ schon durch. So die Forderung, Müttern – kraft Biologie sozusagen – das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder zuzusprechen. Unverheiratete oder geschiedene Väter können sich dieses Recht nur „erwerben“, indem sie die Hälfte des Erziehungsurlaubs übernehmen. Außerdem wollen die Parteifrauen das Wahlgesetz ändern. 80 Prozent der direkt gewählten Abgeordneten sind Männer, sagen sie. Um zu garantieren, daß der Bundestag entsprechend dem weiblichen Bevölkerungsanteil mit 52 Prozent Frauen besetzt wird, sollen die Parteien nur noch jeden fünften Platz auf den Landeslisten mit einem Mann besetzen dürfen.

Im Zeichen rotgrüner Koalitionsanbahnungen setzen „Die Frauen“ auf das wachsende Potential der Nichtwählerinnen und auf all diejenigen, die SPD oder Grüne als „kleineres Übel wählen, weil es bisher nichts Besseres gibt“, wie Jutta Oesterle-Schwerin sagt. Gewiß war feministische Politik bei den Bündnisgrünen in jüngster Vergangenheit kein Spitzenreiter. Trotz mehrheitlich weiblicher Stimmen, trotz Quote und Frauenmehrheit in der Bundestagsfraktion. Die zunehmende „Reduktion“ der Partei „auf einen einzigen Mann“ und die schleichende „Hausfrauisierung“ der grünen Politik wird selbst von der Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle offen gerügt.

Ob eine Frauenpartei den weiblichen politischen Unmut – nicht nur gegenüber den Grünen – für sich ummünzen kann, ist eine Frage des Glaubens und der Hoffnung. Immerhin verschaffte das Experiment GAL-„Frauenliste“ 1986 den Grünalternativen in Hamburg einen völlig unerwarteten, sensationellen Erfolg: Mit einer Wählerinnenmehrheit erzielten die „Frechen Frauen“ für die GAL zum ersten Mal ein zweistelliges Ergebnis und sorgten in der Bürgerschaft für die berühmten „unregierbaren Verhältnisse“ – allerdings auch untereinander. Weniger spektakulär, dafür aber stabiler halten sich, teilweise schon seit Jahren, unabhängige Frauenlisten in zahlreichen kommunalen Parlamenten alter und neuer Bundesländer. Doch ist der Sprung vom Gemeinderat in den Bundestag eben nicht nur ein quantitativer.

Neu ist die Idee einer Frauenpartei nicht. Allein in der Bundesrepublik hat es seit 1945 mehr als ein halbes Dutzend Anläufe gegeben. Auch in anderen Ländern Europas gibt es welche. Die meisten sind (wahl)politisch völlig bedeutungslos. Mit einer Ausnahme: die isländische „Kvennalistinn“ (Frauenliste), die als eine Konsequenz aus dem legendären Frauenstreik 1975 auf der Insel entstanden ist. 1983 zog sie zum ersten Mal ins Althing, das isländischen Nationalparlament, ein. Auschlaggebend für den Erfolg waren vor allem ihre Positionen zur Umwelt- und Friedenspolitik. Doch ist ihr Stern bereits wieder gesunken, von elf Prozent (1987) auf derzeit knapp fünf. Ihre Stimmen verlor die Kvennalistinn bei den letzten Wahlen vor allem an die „Volkserwecker“, ein Spaltprodukt der Sozialdemokraten, an deren Spitze eine Frau steht.

In Schweden drohten 1994 die „Stützstrümpfe“, eine Gruppe renommierter intellektueller Frauen, als Partei zu den Parlamentswahlen anzutreten, wenn die etablierten Parteien es wagen sollten, zuwenig Kandidatinnen für die aussichtsreichen Listenplätze aufzustellen. Meinungsumfragen ergaben potentielle 40 Prozent der WählerInnenstimmen für eine solche Frauenpartei. Antrieb genug für die Sozialdemokratie, die Grünen und die Linken, ihre Listen nach dem Reißverschlußprinzip mit Frauen und Männern zu besetzen. Nach den Wahlen 1994 saßen tatsächlich 41 Prozent Frauen im schwedischen Parlament. Ein Rekord – auch international. Und dabei hatten die „Stützstrümpfe“ nur gedroht ...