■ Milošević – Aussichten eines „Friedensstifters“
: „Sein einziges Ziel ist die Macht“

Miloš Vasić ist Chefredakteur der Belgrader Wochenzeitung „Vreme“ („Die Zeit“), die in entschiedener Opposition zum großserbischen Expansionismus und zu Milošević steht.

taz: Milošević spielt heute den Friedensstifter auf dem Balkan. Ist diese Haltung ehrlich, oder benutzt er den Bruch mit der Führung der bosnischen Serben nur als Vorwand?

Miloš Vasić:Slobodan Milošević ist ein Pragmatiker, ein Mann ohne Glauben und Werte. Sein einziges Ideal ist die Macht, danach handelt er. In dieser Hinsicht ist er vollkommen machiavellistisch, das macht ihn zu so einem schnellen, einfallsreichen Politiker.

Welche Ziele verfolgt er im Augenblick?

Er möchte vor allem die Sanktionen loswerden, dafür tut er alles, was er kann. Er hat gemerkt, daß der Krieg nach hinten losgegangen ist, nicht so sehr für ihn, aber für Karadžić. Die Serben in Bosnien haben den Krieg wirklich verloren, denn was die da haben, ist kein lebensfähiger Staat. Der Staat ist weder militärisch, noch politisch, noch wirtschaftlich lebensfähig, es ist ein künstlicher Staat. Milošević hat Karadžić mehrere Male deswegen gewarnt. Karadžić ist zu weit gegangen und kann jetzt wegen den hirnrissigen Versprechen, die er den bosnischen Serben gemacht hat, nicht mehr zurück.

Sie meinen, Milošević habe nie ein Großserbien gewollt?

Er könnte mit oder ohne damit leben. Er würde auch mit einem kleinen Serbien glücklich sein, so lange er darin der einzige Führer wäre. Milošević ist kein Nationalist, er benutzt den Nationalismus nur. Wenn es seinen Interessen entspricht, wird er den Nationalismus wieder fallenlassen, so wie er es jetzt anscheinend tun möchte. Er baut jetzt auf ein gemäßigt linkes, sozialdemokratisches Image. Er benutzt Emotionen. Selbst hat er keine.

Miloševićs Reaktion auf die erfolgreiche kroatische Militäroffensive in Westslawonien war überraschend kühl ...

Er kümmert sich einen Dreck um Westslawonien oder die Serben dort. Jeder nimmt an, daß er sich darin schon lange mit Tudjman einig war, aber wir haben keine konkreten Beweise dafür. Jedenfalls gab es in der letzten Zeit eine Menge Spitzentreffen zwischen der kroatischen und der serbischen Regierung.

Warum gibt er dann dem Druck der internationalen Gemeinschaft nicht nach und erkennt die Grenzen von Kroatien und Bosnien an?

Er will die Grenzen ja anerkennen. Er schindet einfach Zeit, um mehr dabei für sich herauszuholen: die Sanktionen sollen aufgehoben, für die Serben in Kroatien und Bosnien sollen möglichst viele politische Zugeständnise erreicht werden. Das ist reines Feilschen.

Hat Milošević eine Vision von der Zukunft, von irgendeiner möglichen zukünftigen Ordnung für Ex-Jugoslawien, oder stolpert er einfach von Krise zu Krise?

So wie wir die groben Züge seiner Absichten erkennen können, nennen wir sie „Miloševićs große Balkan-Normalisierung“. Er wird wahrscheinlich erst mit Kroatien , dann mit Bosnien die Beziehungen normalisieren, um die Situation im Großen und Ganzen so zu etablieren, wie sie jetzt ist, bevor die bosnische und die kroatische Armee zu stark wird. Das ist eine Frage der Zeit. Die bosnische Regierungsarmee wird stärker, die Armee der bosnischen Serben wird schwächer. Wenn er zu lange wartet, werden die Serben schließlich Land verlieren. Er weiß, daß der Plan der Kontaktgruppe noch so lange gut ist, wie die Serben etwas davon haben.

Haben die Sanktionen ihn also rumgekriegt?

Ja. Die serbische Wirtschaft liegt am Boden, und Milošević weiß, daß er so nicht lange überleben kann. Alles, was man auf der Straße an Wirtschaft sieht, ist der Schwarzmarkt. Es ist wie 1975 in Phnom Penh oder Saigon.

Die Sanktionen haben Milošević gezwungen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, aber gleichzeitig haben sie seine Position in Serbien verstärkt. Er hat es geschafft, die internationale Gemeinschaft für die wirtschaftliche Katastrophe verantwortlich zu machen und auf diese Weise seine Machtposition zu stützen. Milošević war niemals so fest und unangreifbar an der Macht wie heute.

Außerdem haben die Sanktionen zu einer dramatischen Umverteilung des Wohlstands geführt. Viele Leute sind in die Armut getrieben worden, eine neue Schicht entstand, die ihren Wohlstand der Kriminalität verdankt. Damit wird Serbien noch lange leben müssen, auch nachdem die Sanktionen aufgehoben worden sind.

Es gibt im Westen eine Strömung, die meint, die Sanktionen sollten aufgehoben und vielleicht eine Mitgliedschaft in der EU für Serbien und andere Balkanstaaten in Aussicht gestellt werden. Mit anderen Worten, die internationale Politik gegenüber Serbien sollte eher ermutigen als strafen.

Das ist das übliche Dilemma mit so harten Charakteren wie Milošević. Irgendwann sagen die Leute, wenn du ihn nicht schlagen kannst, spiel mit ihm. Das ist ein Zeichen politischer Schwäche und Hilflosigkeit seitens der internationalen Gemeinschaft. Dieser Konflikt litt von Anfang an unter einer armseligen Staatskunst. Der Westen schickte zweit- und drittklassige Leute mit zweit- und drittklassigen Lösungen zu einer politischen Krise ersten Ranges. Nun haben sie unter den Folgen zu leiden. Diese Leute sind einem so durchtriebenen Politiker wie Milošević nicht gewachsen.

Dann ist jetzt Miloševićs größtes Hindernis Pale ...

Ja. Die einzige Möglichkeit, die Milošević jetzt hat, ist, Karadžić, Mladic und ihre Mannschaft loszuwerden. Sowohl die Bosnier als auch die internationale Gemeinschaft wird so ziemlich jeden als deren Ersatz akzeptieren, beide Seiten sind in dieser Frage ziemlich flexibel. Milošević investiert eine Menge politischer Energie, um Karadžić loszuwerden, indem er die „Serbische Republik Bosnien“ nicht weiter politisch unterstützt, indem er auf einen Umschwung innerhalb der bosnisch- serbischen Machtstrukturen spekuliert. Karadžić ist von Männern der alten Nomenklatura umgeben, die letzten Endes zu den stärkeren Bataillonen übergehen werden.

Welche Rolle spielt die serbische Opposition?

Das Problem mit der serbischen demokratischen Opposition ist, daß es fast keine gibt. Sie sind gegen Milošević, aber für den Krieg. Die sogenannten Liberalen sind in dieser Hinsicht nicht besser als die extremen Rechten, auch wenn einige, wie Vuk Drašković anscheinend in letzter Zeit wieder zu Sinnen gekommen ist. Die Oppositionsparteien denken, sie hätten Großserbien effektiver, schmerzloser bekommen können. „Völkermord mit einem Schalldämpfer“ nennen wir das.

Jetzt, wo Milošević die Grenzen anerkennen will, scheint es, daß der Krieg in Bosnien und Kroatien umsonst war.

Ich fürchte, es ist so. Wir haben das von Anfang an gesagt und wurden daher als Verräter an der serbischen Sache bezeichnet. Das waren Miloševićs eigene Kriege, denn er hätte sie jederzeit mit einem Wort beenden können.

Interview: Paul Hockenos