Mandelas Ruf ist angeknackst

Krisenstimmung herrscht in Südafrika, seitdem der Präsident seine führende Rolle bei einem Massaker an Inkatha-Demonstranten vor den Wahlen vom April 1994 zugegeben hat  ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler

Im südafrikanischen Parlament ging es am Mittwoch abend hoch her. Präsident Nelson Mandela mußte sich in einer Aktuellen Stunde zu einem emotionsgeladenen Thema rechtfertigen: seinem überraschenden Bekenntnis von vergangener Woche, bei einer Zulu-Demonstration der Inkatha- Freiheitspartei in Johannesburg Ende März letzten Jahres die Anweisung erteilt zu haben, die ANC- Parteizentrale in der Innenstadt notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen.

Am 28. März 1994, wenige Tage vor den ersten freien Wahlen in Südafrika, hatten Zehntausende von Zulus in der Innenstadt von Johannesburg für ihren König Goodwill Zwelithini demonstriert. Vor der ANC-Zentrale, dem Shell House, eskalierte der Marsch, acht Menschen wurden erschossen – vermutlich von ANC-Sicherheitsleuten, die aus dem Haus heraus schossen. Eine polizeiliche Untersuchung hat bis heute den Vorfall nicht aufklären können, der inmitten der Gewaltwelle in den emotional aufgeheizten Tagen vor Südafrikas ersten allgemeinen Wahlen fiel. Damals eskalierten täglich die Auseinandersetzungen zwischen Inkatha und ANC, rechtsextreme Weiße bombten sich durch das Land. Insgesamt kamen an diesem 28. März in und um Johannesburg fast 60 Menschen durch politische Gewalt ums Leben. Machtpolitisch befand sich das Land in einem Vakuum. Die Tage der weißen Regierung waren gezählt, der weiße Sicherheitsapparat hatte wenig Interesse daran, seine Aufgaben noch wahrzunehmen.

Jetzt, mehr als ein Jahr später, erklärte Mandela in der vergangenen Woche vor dem Senat auf Fragen der Nationalen Partei (NP) und der Demokratischen Partei (DP): „Ich erteilte unseren Sicherheitsleuten die Anweisung, daß gesetzt den Fall, daß sie (die Zulus) angreifen, ihr das Haus schützen müßt – auch wenn dabei Menschen getötet werden.“ Er habe Präsident F. W. De Klerk und den damaligen Polizeichef vergeblich gebeten, rund um Johannesburg Straßensperren zu errichten, nachdem in den Morgenstunden des Tages schon 32 Menschen in Soweto von Inkatha-Leuten getötet worden seien.

Das Eingeständnis Mandelas, somit einen Schießbefehl erteilt zu haben, schlug in Südafrika ein wie eine Bombe. Aber bei der Parlamentsdebatte nahm der Präsident nichts zurück: Seine Anweisung sei „absolut notwendig“ gewesen und „nicht mehr und nicht weniger als eine Äußerung des allgemeinen Rechts auf Selbstverteidigung“. Dem ANC hätten Hinweise vorgelegen, daß ein Sturm auf die Parteizentrale geplant gewesen sei. „Was wäre gewesen, wenn es dazu gekommen wäre?“ In der anschließenden Aussprache mußte sich Mandela harsche Kritik gefallen lassen. Vertreter von NP und DP forderten eine Untersuchungskommission und warfen dem Präsidenten unstaatsmännisches Verhalten vor.

Auffallend moderat waren die Redner der Inkatha-Freiheitspartei unter Innenminister Mangosuthu Buthelezi – mit gutem Grund. Nach dem Bekenntnis Mandelas in der vergangenen Woche hatte nämlich Richard Mtuseni, ein angeblicher Kommandeur von IFP-„Selbstschutzeinheiten“ in der Provinz Gauteng (rund um Johannesburg), mit der Tötung von 1.000 Menschen jeden Tag gedroht, wenn Mandela nicht sofort verhaftet würde. Das war selbst für die IFP-Führung zuviel. Der IFP- Provinzvorsitzende Themba Khoza mußte erklären, daß ein derartiger Befehl nie ergangen sei. Unterdessen sucht die Polizei Mtuseni per Haftbefehl.

Dennoch: Mandelas Ruf hat gelitten, und die Beziehungen zwischen den Parteien in der Allparteienregierung haben einen neuen Tiefstand erreicht. In der Krisenregion Kwa Zulu/Natal spitzen sich die Auseinandersetzungen zwischen ANC und Inkatha seit Wochen wieder zu. Allein am vergangenen Wochenende starben dabei über zwanzig Menschen.