Die Maladen von Roland Garros

■ Durch ein 7:5, 4:6, 6:0 gegen die Spanierin Arantxa Sanchez-Vicario holte sich Steffi Graf trotz tränenreicher Belästigung den 16. Grand-Slam-Titel ihrer Laufbahn

Berlin (taz) – Ob es tatsächlich ein boshafter Heuschnupfen war, der Steffi Graf während des Finales der French Open ständig die Tränen in die Augen trieb, oder eher die fortgesetzte Rührung darüber, wieder einmal in einem Grand-Slam-Endspiel zu stehen, läßt sich nicht erschöpfend klären. Während der Siegerehrung jedenfalls, als sie nach dem 7:5, 4:6, 6:0 gegen Arantxa Sanchez-Vicario den „Coupe Suzanne Lenglen“ entgegennahm, überwog bei der Deutschen, die Siegestrophäen sonst so kühl wie ihre Kontoauszüge in Empfang zu nehmen pflegt, eindeutig die Rührung. „Danke, danke an alle ...“, stammelte sie mit erstickender Stimme ins Publikum und erklärte den seltenen Gefühlsausbruch später folgendermaßen: „Der Erfolg ist so schön, weil er der mit Abstand unerwartetste von allen ist.“

Zuvor hatte sie der Unterlegenen einen etwas merkwürdigen Trost gespendet. „Du hast hier so oft gewonnen“, teilte sie der Spanierin mit, die nach der Niederlage auch den Platz der Weltranglistenersten wieder für Graf räumen muß: „Diesmal war ich dran.“ Tatsache ist: Steffi Graf hat in Paris zum vierten Mal gewonnen, Arantxa Sanchez-Vicario erst zweimal. Aber bei so vielen Grand-Slam-Titeln kann man schon mal durcheinanderkommen.

Es war ein Endspiel der Kranken und Maladen, was nicht gerade ein positives Licht auf das Niveau im Frauentennis wirft. Die Spanierin war seit Turnierbeginn durch eine Darminfektion geschwächt, ihre Gegnerin hatte nach einer Grippe erst eine Woche vor Turnierbeginn mit dem Training anfangen können und sich zudem eine leichte Zerrung im linken Oberschenkel zugezogen. „Ich wußte nicht, bist du bereit, bist du fit“, sagte Graf nach dem Finale, und Trainer Heinz Günthardt staunte: „Eigentlich geht das gar nicht, was hier passiert ist.“

Trotz aller Handikaps war Steffi Graf leicht und locker durch das Turnier spaziert und hatte erst im Halbfinale beim 6:3, 6:7 (5:7), 6:3 gegen Conchita Martinez gewisse Schwierigkeiten bekommen. Enorm wichtig sei der spektakuläre 6:1-6:0-Sieg gegen eine hilflose Gabriela Sabatini im Viertelfinale gewesen: „Da habe ich gemerkt, daß ich es schaffen kann.“

Im Finale lieferten sich Graf und Sanchez-Vicario, die sich in diesem Jahr schon fünfmal an der Spitze der Weltrangliste abwechselten, vor 16.500 Zuschauern zwei Sätze lang ein spannendes und gutes Match, bei dem die 23jährige Spanierin immer dann gut aussah, wenn sie mit langen, plazierten Bällen die Initiative ergriff und ihre Kontrahentin vor allem auf der schwächeren Rückhandseite unter Druck setzte. Steffi Graf wiederum jagte ihre Gegnerin vorzugsweise mit der Vorhand über den Platz, gewann aber erst die Oberhand, als Sanchez-Vicario langsam schlappmachte und ihre große Stärke nicht mehr einsetzen konnte: das unermüdliche Hetzen nach jedem Ball, auch wenn er noch so unerreichbar scheint. „Ohne meinen Magen-Virus wäre es vielleicht anders gelaufen“, mutmaßte sie später.

Eine 40minütige Regenpause beim Stande von 0:5 im dritten Satz kam für die ermattete Spanierin zu spät, um das Match noch einmal kippen zu können. Als die Spielerinnen den Platz wieder betreten hatten, dauerte es noch 120 Sekunden, dann war die Partie zu Grafs Gunsten entschieden und sie hatte vier Tage vor ihrem 26. Geburtstag den 16. Grand Slam-Titel ihrer Karriere in der Tasche.

„Ich bin überglücklich, daß ich die Sandplatzsaison so beendet habe“, meinte sie und sagte gleichzeitig das Rasen-Debüt in Eastbourne ab. „Das habe ich mir durch das Finale hier selbst verbaut.“ Ende der Woche will sie die Vorbereitung auf Wimbledon beginnen und dort die Schmach des letztjährigen Erstrunden-Aus tilgen. Fünfmal hat Steffi Graf in Wimbledon bereits gewonnen, und so ist es kein Wunder, daß sie dem Turnier förmlich entgegenfiebert: „Ich freue mich wahnsinnig auf Gras.“ Matti Lieske