Press-Schlag
: Der Sozialismus lebt! Heintje aber auch!

■ Trotz und wegen Möller taumelt Dortmund in den Showdown

Heintje war sauer, sehr sauer. Wütend stampfte er vom Felde, fauchte die notorischen Interviewgeier von Sat.1 an und verschwand mit mürrischer Miene in den Wedau-Katakomben. Nein, das war wieder nicht das Spiel des nach seinem Platzverweis in Freiburg frisch entsperrten Andreas Möller, Branchenname Heintje, die „Heulsuse der höchsten Schluchzklasse“ (Spielevermittler Werner Hansch). Häme und Spott waren von der Duisburger Hälfte der 32.000 Fans auf ihn herniedergeregnet, gehöhnt hatten sie („Du Weichei, „Mamasöhnchen“, „Heintje raus“), ihn tribünenweit verlacht und haßerfüllt ausgepfiffen.

Und wahrlich, Andreas Möller hatte, gerade für einen Mann seiner Möglichkeiten, höchst peinliche Szenen: Frei zum Schuß gekommen – und bis in die weitentfernten Stehplatzränge gedroschen. Wieder frei – und galant in das Grüne getreten statt resolut gegen das Runde. Und bei Freistößen – einmal Sammer den Ball weggenommen und ihn in gezirkelter Kurve Richtung Himmel geschlenzelt und das andere Mal, besonders grotesk, am ruhenden Ball mit Höchsttempo vorbeigelaufen. Und die lässig verkorkste Ecke, die seinen Trainer Hitzfeld zu Weißglut und wütenden wegwerfenden Handbewegungen trieb. Solche Sammlung von verlachten Aussetzern signalisieren Möller, daß er Kampf zeigen muß, und lassen ihn nachgerade rührend lächerlich wirken: Dann stelzt er merkwürdig aufrecht daher, trippelschrittig sucht er unbeholfen den Zweikampf, der zum Foul wird und alle Verkrampfung in Möllers Innerstem offenbart.

Höchste Schluchzklasse: Andreas Möller Foto: Bongarts

Und doch war es das Spiel des Andreas Möller. Er war es, der das Spiel umbog. 2:0 führte der MSV schon, unfaßbar eigentlich, mit dem Glück eines entschlossen gegen den Abstieg kämpfenden Teams und tätiger Mithilfe des Dortmunder Keepers Klos: Einmal schoß der unbedrängt dem Duisburger Ferry Schmidt tölpelhaft gegen den Kopf, ein andermal ließ er sich elegant tunneln. Da dachten alle, das sei es gewesen, nur Dortmunds Coach Ottmar Hitzfeld angeblich nicht: „Ich habe nur auf die Uhr gesehen, und gedacht, daß wir noch viel Zeit haben.“

Knapp 40 Minuten für drei Tore waren es noch. Heintje nahm sich das Plastik-Leder und rannte in Höchsttempo los, dahin, wo es dem Weichei richtig wehtun könnte, in den Strafraum nämlich, und wurde dort von zwei Duisburgern hinterrücks umgemäht. Der klarste Elfmeter seit Erfindung des Elfmeterpunktes, aber wenn Möller fällt, reagiert der Fußballfreund außerhalb Dortmunds nur mit galligem Reflex: Schwalbe, Schauspielerei. Was verständlich ist, nach Möllers österlicher Fallsucht gegen den KSC und den Dümmlichkeiten, die er danach absonderte.

Gleich nach Zorcs Strafstoßtreffer und Reuters vehementem Ausgleich zum 2:2 brachen alle taktischen Dämme. Beiden half nur ein Sieg, und so spielten sie auch: Sicherheit ade, Infarktfußball und ein endlich mal wieder voll überzeugender Leidenschaftsfußballer Matthias Sammer, der in jeder Ecke des Platzes allgegenwärtig schien. „Der reinste Hitchcock“, so Hitzfeld, „und der Andy hat sein Herz in die Hand genommen.“

Vor allem hat Möller, kaum beachtet, den allesentscheidenden genialen Moment eines Klassefußballers gehabt. Ein filigraner, unahnbarer Doppelpaß mit Stefan Reuter an der Mittellinie, und der ansonsten in seinem Schablonen-Spiel so vertrocknet wirkende Reuter raste los, hämmerte die Kugel zum Siegtor ins Duisburger Gehäuse und den armen MSV damit in die zweite Liga.

Ob sie in Duisburg ihrem Stefan Böger dafür die Mitschuld geben? Brutal war der Ex-Jenenser, so schien es, nach einer halben Stunde vom Ex-Dresdener Matthias Sammer mit eingesprungener Grätsche umgesenst worden, daß Böger bis Meiderich-Nord zu fliegen schien. Der Schiedsrichter raste auf Sammer zu, griff entschlossen in die Brusttasche, doch bevor der rote Karton auftauchen konnte, war Böger aus Meiderich-Nord zurück und bedeutete dem Unparteiischen, daß Sammer ihn gar nicht berührt habe. Eine selten gesehene Fairneß im Abzockersport Fußball – und als spielten sie noch wie einst gemeinsam in der DDR-Nationalmannschaft, herzten sich Sammer und Böger, dankten sich und lachten. Klassenkampf um den Klassenerhalt, aber der Sozialismus lebt. Zu zehnt, ohne ihr Herzstück Sammer, hätte der BVB das Spiel kaum noch umgebogen.

Wer jetzt Meister wird am kommenden Wochenende? Wir legen uns fest: Keiner. Der BVB gewinnt durch vier Möller-Tore 4:3 (nach 0:3-Rückstand) gegen den Hamburger SV, Bayern und Bremen schaukeln sich zu einer dramatischen Nullnullnummer. Dann gibt es, bei Tor- und Punktgleichheit, ein Endspiel um die deutsche Meisterschaft. Wer das gewinnt, verraten wir zu gegebener Zeit. Bernd Müllender