Nigerias schwärzeste zwei Jahre

Am 12. Juni 1993 wurden in dem westafrikanischen Land die Wahlen annulliert / Seither regieren wieder die Militärs / Jetzt ruft die Opposition zum Handelsboykott gegen die Machthaber auf  ■ Von Uwe Kerkow

Berlin (taz) – Heute jährt sich zum zweiten Mal der schwärzeste Tag in der jüngeren politischen Geschichte Nigerias. Am 12. Juni 1993 annullierte der damalige Militärmachthaber Ibrahim Babangida das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen. Aus diesem allgemein als frei und fair bezeichneten Urnengang wäre Moshood Abiola als Sieger hervorgegangen, wenn nicht General Abacha – der Nachfolger Babangidas – ihn vor knapp einem Jahr wegen angeblichen Hochverrats hätte verhaften lassen.

Zum ersten Jahrestag der annullierten Wahlen hatte sich eine breite Demokratiebewegung aus Gewerkschaften und Oppositionsgruppen gebildet, die mit großem Druck die nachträgliche Einsetzung Abiolas zum Präsidenten forderte. Der Generalstreik der Erdölarbeiter lähmte bis Anfang September 1994 die Wirtschaft des Landes fast vollständig, und in den Straßen von Lagos und Ibadan wurde auf Demonstranten geschossen.

Was dann folgte, wirkt wie aus dem Lehrbuch für die Schule der Diktatoren. Mit dem Geld aus den verbliebenen Ölverkäufen gelang es der Junta unter Abacha, sich über Wasser zu halten. Die gesamte unabhängige Presse des Landes erscheint seitdem nicht mehr, die Gewerkschaftsführer und die Köpfe der Oppositionsbewegung wurden verhaftet, Sondergesetze geschaffen, das Kabinett wurde entlassen. Den vorläufigen Schlußpunkt der Entwicklung bildet ein geheimnisumwitterter Putschversuch am 1. März, der zu weiteren Verhaftungen teilweise hoher Militärs führte.

Gegen 29 Menschen, denen eine Beteiligung an dem Putschversuch vorgeworfen wird, ist dieser Tage der Prozeß eröffnet worden. Unter ihnen befindet sich General Olusegun Obasanjo, der 1979 als einziger Militärherrscher Afrikas seine Macht freiwillig an eine zivile Regierung abgab.

Seit Mitte Januar läuft der Prozeß gegen Ken Saro Wiwa, renommierter Schriftsteller und Galionsfigur des Widerstandes des kleinen Ogoni-Volkes, das sich im Nigerdelta gegen die Zerstörung seiner Umwelt durch die Ölförderung zur Wehr setzt. Er sitzt seit Mai letzten Jahres im Gefängnis. Daß er Ende Mai dieses Jahres von drei Ärzten für verhandlungsunfähig erklärt wurde, läßt nicht nur auf die miserablen Haftbedingungen schließen. Es ist damit zu rechnen, daß der Prozeß trotz aller Ungereimtheiten weitergeführt wird. Nach Informationen des New African gab der Kronzeuge der Anklage, Charles Danwi, mittlerweile zu, von Sicherheitsbeamten der Regierung unter Druck gesetzt worden zu sein, damit er seine Aussage gegen Ken Saro Wiwa aufrechterhält. Darüber hinaus habe ihm eine Ölgesellschaft 30.000 Naira (etwa 2.000 Mark) und einen gutbezahlten Posten geboten, wenn er der Anklage weiterhin zur Verfügung stehe.

Obwohl die Motive des Zeugen wohl unklar bleiben dürften, erhärtet sich der Verdacht, daß die Sicherheitsbehörden und die Ölkonzerne, allen voran Shell Nigeria, zusammenarbeiten. In Großbritannien wurde der Umweltschutzorganisation Greenpeace ein „regierungsinternes Memorandum“ aus dem westafrikanischen Land zugespielt, in dem „rücksichtslose militärische Operationen“ als Voraussetzung für die Arbeit von Shell genannt werden. Die Firma weist jede Verwicklung in die 1.800 gewaltsamen Todesfälle der letzten zwei Jahre unter den Ogoni zurück.

Auch Moshood Abiola befindet sich nach wie vor in Haft. Sein Gesundheitszustand ist sehr schlecht, und nach Jesse Jackson und Desmond Tutu haben kürzlich 27 ehemalige Staatsoberhäupter, unter ihnen Helmut Schmidt, Pierre Trudeau und Takeo Fukuda, für seine Freilassung plädiert.

Die zu großen Teilen geflüchtete Opposition bemüht sich zur Zeit, einen weitgehenden Handelsboykott gegen die nigerianische Militärregierung zu organisieren. Der „Runde Tisch der nigerianischen Demokratie“ in den USA koordiniert diese Arbeit. Die Forderungen des Runden Tisches verlangen vor allem einen Boykott nigerianischen Öls und die Sperrung von Auslandskonten der Juntamitglieder. Allerdings gehorcht diese Politik der Opposition nicht nur der Not des Exils. Es ist während der großen Streiks im letzten Jahr klargeworden, daß die Generalität nicht zu bezwingen ist, solange die Gelder aus dem Ölgeschäft fließen.

Doch die Aussichten für einen Boykott stehen schlecht. Nicht nur kommt jedes siebte Barrel Rohöl, das in den USA verbraucht wird, aus Nigeria, sondern die internationalen Ölkonzerne fürchten um ihre Direktinvestitionen in Milliardenhöhe. Die vor allem bei europäischen Banken geführten Konten der Junta werden auf 10 bis 35 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dies mag einer der Gründe dafür sein, daß die europäischen Regierungen noch weniger als die US- Amerikaner gewillt sind, einem Boykott zuzustimmen.

Die Militärs regieren zur Zeit mit dem Mittel der „Vorbeugehaft“. Es wird jede(r) eingesperrt, der/die in Verdacht steht, Aktionen zum zweiten Jahrestag der annullierten Wahlen vom 12. Juni zu planen. Zuletzt traf es Olisa Agbogkoba, den Vorsitzenden der Bürgerrechtsbewegung CLO, und andere Oppositionelle. Vermutlich Hunderte weiterer Aktivisten kommen für ein paar Tage oder Wochen in die Gefängnisse, bis die Sicherheitsorgane die Gefahr für gebannt halten.