■ FDP-Basis bestimmte Klaus Kinkel zum Auslaufmodell und Fraktionschef Solms zum Prügelknaben. Ach ja, und Wolfgang Gerhardt zum neuen Parteivorsitzenden.
: Sehnsucht nach Zukunft

FDP-Basis bestimmte Klaus Kinkel zum Auslaufmodell und Fraktionschef Solms zum Prügelknaben. Ach ja, und Wolfgang Gerhardt zum neuen Parteivorsitzenden.

Sehnsucht nach Zukunft

Zielstrebig richtete er den Blick in die Menge, machte eine Pause und nahm einen tiefen Schluck aus dem Wasserglas – um dann den Spannungsbogen seiner Rede weiter zu dehnen. Kein Zweifel: Jürgen Möllemann genoß es, die Delegierten zunehmend in seinen Bann zu ziehen. Diese wiederum genossen den Unterhaltungswert und die Professionalität seiner Bewerbung um den Parteivorsitz. Und wenn er mal wieder unter die Gürtellinie langte – etwa als er auf die glücklose NRW-Führungsriege eindrosch –, buhten sie ihn halt aus. Aber das steckt einer wie er weg. Erst recht, wenn Buhrufe auch auf den Leiter des Parteitags niedergehen, als er Möllemann an dessen viel zu lange Redezeit erinnerte. „Machen Sie weiter“, beugte sich der Mahner schließlich dem Willen der Basis. Der Ex-Minister dankte für „die Atempause“ und bekannte, scheinbar vom Saulus zum Paulus gewandelt, sogar Sünden der Vergangenheit. Doch letztlich reichte seine kämpferische Rede nicht – sie kennen ihn einfach zu gut, ihren Möllemann.

Das Rennen machte am Samstag Wolfgang Gerhardt – und der hatte wahrlich keinen aus dem Schlaf geredet. Daß seine langweilige Vorstellung eher einem Besinnungsaufsatz als einer politischen Kampfrede glich, ficht ihn nicht an. Er ist mit 57 Prozent der Stimmen jetzt die Nummer eins und damit basta. Wie sicher er sich in der neuen Rolle fühlt, zeigte er, als er Möllemann für den Parteivorstand vorschlug. Zum Generalsekretär wurde mit 87 Prozent der Stimmen Guido Westerwelle wiedergewählt. Schon jetzt läßt sein Umgang mit Gerhardt erkennen, daß er, sofern es die FDP noch gibt, die Partei in Zukunft entscheidend mitgestalten wird.

Eher als Auslaufmodell wurde dagegen am Samstag Bundesaußenminister Klaus Kinkel gehandelt. Hatte der ausgeschiedene Vorsitzende noch am Vortag um Unterstützung für seine Außenpolitik gebeten, verpaßten die Delegierten ihm schon am Samstag die erste schallende Ohrfeige: Entgegen seinen Mahnungen beschlossen sie auf Antrag der Jungen Liberalen, daß das Waffenembargo gegen die bosnische Regierung aufgehoben werden soll. Gleichzeitig bekräftigte die Parteibasis in Mainz ihre Auffassung, daß deutsche Bodentruppen im früheren Jugoslawien nicht zum Einsatz kommen dürfen.

Viele junge, progressive Mitglieder in den Vorstand

Prügel bezog auch Fraktionsvorsitzender Hermann Otto Solms. Die Delegierten machten ihn und die gesamte Fraktion für das schlechte Erscheinungsbild der Partei verantwortlich. Sie hätte sich zu wenige für liberale Positionen eingesetzt. Als Solms sagte, er zögere „keine Sekunde, sein Amt zur Verfügung zu stellen“, wurde er mit Bravorufen lautstark unterbrochen. Erst später konnte er seinem Ärger über diesen Umgangsstil Luft machen. Ihren Mißmut gegenüber der Fraktion demonstrierten die Delegierten auch bei der Wahl des neuen Parteivorstands; es wurden viele junge und progressive Mitglieder gewählt, Fraktionsangehörige wie Heinz Lanfermann hatten das Nachsehen. Während Kinkel den Kampf mit seiner Partei verloren hat, geht Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger deutlich gestärkt aus dem Parteitag hervor. Die Ministerin, die von Liberalen des Schaumburger Kreises schon auf die Abschußliste gesetzt worden war, hatte vor dem Delegiertentreffen deutlich gemacht: Entweder sie bekommt die Unterstützung der Partei oder sie läßt sich nicht länger als liberales Feigenblatt mißbrauchen.

Die große Mehrheit der Delegierten hat keinerlei Interesse daran, rechts von der Union auf Stimmenfang zu gehen. Das zeigte nicht zuletzt die große Zustimmung für den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, als er den Nationalliberalen vorwarf: „Sie wollen über die FDP erreichen, was Sie mit Neugründungen nicht erreicht haben“, und sich dagegen wehrte, daß die FDP zu „Ersatzrepublikanern“ werde.

Von der Handvoll Nationalliberaler grenzten sich die Delegierten am Freitag immer wieder und derart deutlich ab, daß das Häufchen um Alexander von Stahl und dem hessischen Delegierten Heiner Kappel mit der endlos lange Debatte schon fast zuviel des Ruhms zuteil wurde. Als der ehemalige Generalbundesanwalt das Thema „Multikulturalität“ mit „Gewalt“ in einem Atemzug nannte, mußte Generalsekretär Westerwelle ihn gar gegen Protestierer mit Trillerpfeifen in Schutz nehmen.

Am späten Samstagnachmittag dann endlich kam das, was vor dem Parteitag von vielen als dringend notwendig erachtet worden war: eine Richtungsentscheidung – wenigstens in der Rechtspolitik. Grundlage war ein von der Justizministerin eingebrachter, wenn auch abgespeckter Dringlichkeitsantrag, mit dem sie ihre Rechtspolitik zur Disposition stellte und der in einigen Punkten deutlich von den Vorstellungen des Bonner Koalitionspartners CDU/CSU abweicht. Das Reizthema „großer Lauschangriff“ allerdings hatte sie ausgespart.

Die Delegierten plädierten dafür, die Bestrafung von Sitzblockaden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht weiter zu verschärfen. Gleichzeitig wollen die Liberalen eventuelle Lücken, die durch das Gerichtsurteil entstanden sind – etwa im Straßenverkehr – außerhalb des Nötigungsparagraphen strafrechtlich regeln. Nach langer Diskussion zog selbst Leutheusser-Gegner Lanfermann seinen vom rheinland-pfälzischen Justizminister Caesar zuvor als „CSU-Politik“ disqualifizierten Änderungsantrag zurück.

Die Parteibasis sprach sich in Mainz auch für den Schutz von nichtehelichen und auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften aus und forderte, daß ein Gesetz zur Bestrafung von Vergewaltigung in der Ehe alsbald verabschiedet werde. Außerdem sollen nichteheliche Kinder den ehelichen in Fragen des Erbrechts gleichgestellt werden. Da hat selbst Detlef Kleinert, der als konsequenter Kritiker dieser Gleichstellung galt, klein beigegeben. Er hatte sowieso gemerkt, daß der Wind in Mainz anders wehte, als er dachte. Seine vor dem Parteitag geführten Attacken gegen die von ihm einst protegierte Bundesjustizministerin hat er eingestellt. Karin Nink, Mainz