Herr der Sandgruben

■ Der Österreicher Thomas Muster gewann durch ein 7:5, 6:2, 6:4 gegen Michael Chang (USA) die French Open von Paris

Berlin (taz) – Es war ein typischer Thomas Muster, der beim Finale der French Open als erster Österreicher einen Grand-Slam- Titel gewann. So verbissen, wie er seit Jahren seine Tenniskarriere verfolgt, so verbissen, wie er auf dem Platz jedem Ball nachjagt und mit größtmöglicher Brutalität ins gegnerische Feld drischt, so verbissen ging er vor 16.500 Zuschauern auch in das Finale gegen Michael Chang. Danach sagte er, daß er sich „wie aus einer Geiselhaft befreit“ fühle, zuvor habe er zwei Tage an nichts anderes gedacht als an das bevorstehende größte Match seines Lebens – „und überall war dieser Chang“.

Im Endspiel plazierte er den Ball dann vorzugsweise dahin, wo „dieser Chang“ gerade nicht war. Selten zuvor hat man den US- Amerikaner auf roter Asche so ratlos gesehen wie in diesem Match gegen Thomas Muster. Allerdings hatte er es bis dahin auch kaum erlebt, daß ihn ein Gegner derart mit seinen eigenen Mitteln demontierte: Laufstärke, Plazierungsvermögen und Fehlerlosigkeit. Was sich Chang auch einfallen ließ, Muster war da und hatte die bessere Antwort.

Dabei hatte alles gut begonnen für den French-Open-Sieger von 1989. Mit 4:1 ging er in Führung und lag beim Aufschlag Musters mit 40:0 vorn. „Ich dachte schon an den zweiten Satz“, gab Muster später zu, kämpfte aber trotzdem weiter – anders kann er ohnehin nicht spielen – und änderte seine Taktik: „Ich ging ein bißchen weiter nach vorn und setzte ihn mehr unter Druck.“ Die Sache funktionierte hervorragend. Der 27jährige Österreicher wehrte die drei Breakbälle ab, gewann danach zwölf der nächsten 15 Spiele und das Match schließlich mit 7:5, 6:2, 6:4. „Man kann ihn nur in höchsten Tönen loben“, sagte ein enttäuschter Michael Chang, „er hat heute großartiges Tennis gespielt.“

Muster hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß „großartiges Tennis“ für ihn nur auf Sandplätzen stattfindet und ihm die Aufschlagbolzerei bei schnelleren Böden ein Greuel ist. Folgerichtig ist der Titel von Paris nicht nur der einzige Grand-Slam-Titel, der für ihn in Frage kommt, sondern auch der einzige, der zählt. Ein „Kindheitstraum“ sei es für ihn gewesen, die French Open zu gewinnen, und wenn er bei kleineren Turnieren Matchbälle hatte, habe er sich immer damit motiviert, daß er sich vorstellte, es sei der Matchball von Roland Garros.

In seiner Heimat wurde der bärbeißige Mann aus Leibnitz, der eine gepflegte Feindschaft zu Boris Becker unterhält und nichts mehr haßt, als wenn man ihn „Alpen- Boris“ nennt, gefeiert wie einst Niki Lauda und Franz Klammer, doch Muster eignet sich kaum zum Glamourboy. „Ich bin kein Volksheld und auch nicht unsterblich“, knurrte er die Reporter an, und ein Wunderkind sei er erst recht nicht: „Dazu habe ich zuwenig Haare.“

Dafür ist Thomas Muster, der in der Weltrangliste Boris Becker überholte und auf Rang drei kletterte, der unangefochtene Herr der Sandplätze. Sechs Turniere, darunter Monte Carlo und Rom, hat er in diesem Jahr schon gewonnen, der Sieg gegen Chang war der 35. Spielgewinn in Folge auf seinem Lieblingsboden. Damit hat er Björn Borgs Serie von 34 Siegen 1979/80 übertroffen. Längere Gewinnsträhnen auf Asche haben nur ebenjener Borg (44 Siege von 1977 bis 79) und Guillermo Vilas (53 Erfolge im Jahre 1977) vorzuweisen. Wenn Muster nicht wieder, wie 1989, von einem Auto angefahren wird, sollte es ihm bei seiner derzeitigen Form eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten, bald neuer Rekordhalter zu werden. Die nächsten Schritte dazu unternimmt er bereits demnächst in St. Pölten. Wimbledon mit seinem eklig schnellen Rasen hat er selbstredend abgesagt. Matti Lieske