Spät, nicht zu spät

■ Die Gewerkschaften haben Multimedia entdeckt. Sie fordern kostengünstigen Zugang für alle zu den "Universaldiensten"

In der Diskussion um die multimediale Zukunft der globalen Informationsgesellschaft haben sich die Gewerkschaften bisher eher zurückgehalten. Auf dem letzten Gewerkschaftstag der IG Medien 1992 etwa fiel der Begriff nicht ein einziges Mal. Zwei Jahre später stellte der DGB-Bundeskongreß immerhin schon fest, daß „eine breite gesellschaftliche Debatte über Chancen und Risiken“ von Multimedia bisher nicht in Gang gekommen sei und forderte die betroffenen Gewerkschaften auf, sich dem Thema verstärkt zu widmen. Die Mitte 1994 begonnene Kooperation der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) und der IG Metall brachte bisher allerdings keine sichtbaren Ergebnisse.

Nunmehr haben DPG und IG Medien einen ersten Versuch in Richtung Datenautobahn gestartet, mit einer Tagung in Frankfurt unter dem Motto „Multimedia gestalten – Vorfahrt für Arbeit und Menschlichkeit“. „Ein bißchen spät, aber nicht zu spät“, wie Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien, befand. Dazu legten die beiden Gewerkschaften ein „Memorandum zur Gestaltung der Informationsgesellschaft“ vor. Ihre wichtigsten Forderungen: diskriminierungsfreier Zugang aller zu den Universaldiensten von der Briefpost bis zum Internet, inklusive des kostenfreien Anschlusses von öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Bibliotheken; Erhalt und Ausbau des öffentlich- rechtlichen Informationsangebotes, ein regulierter Wettbewerb als Basis für eine demokratische Multimedia-Ordnung, soziale Gestaltung und die Schaffung entsprechender Daten- und Verbraucherschutzbestimmungen sowie ein verbessertes Urheberrecht.

Für das „kritisch-konstruktive Konzept“ sollen dann gesellschaftliche Bündnispartner gesucht werden. Der DPG-Vorsitzende Kurt van Haaren kündigte bei dieser Gelegenheit den Abschluß eines Tarifvertrages zur Telearbeit an. Allerdings mußte auch er zugeben, daß das Thema wegen seiner grenzüberschreitenden Dimension längst international geregelt werden müßte. So war während der Tagung zwar viel vom „Gestalten der Informationsgesellschaft“ die Rede, doch letztlich drehten sich die entscheidenden Beiträge um eher bescheidene Versuche zu ihrer Regulierung.

Zentral ist für die Gewerkschaften das Recht aller auf „informationelle Grundversorgung“, also die Garantie eines freien und möglichst kostengünstigen Zugangs zu den unverzichtbaren Universaldiensten – vom Briefkasten über die Telefonzelle und den Telefonanschluß bis hin zum Zugang zu nichtkommerziellen Computernetzen, etwa über Anschlüsse in öffentlichen Bibliotheken, und last not least zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Umstritten ist noch, wie die im Zuge der Deregulierung der Telekommunikation entstehenden Konkurrenten der Telekom verpflichtet werden können, eine flächendeckende Infrastruktur zu installieren. Die Bündnisgrünen plädieren in ihren Leitlinien für die Postreform III aus qualitativen Gründen für eine Gleichbehandlung aller Bewerber. Ein Blick in die USA zeigt, daß sich Business und soziale Grundversorgung nicht widersprechen müssen. Dort gehört der kostenlose Anschluß von öffentlichen Einrichtungen für die Telefongesellschaften längst zu den Selbstverständlichkeiten.

Angesichts der Dynamik der technischen Entwicklung empfahl der Bremer Informatiker Herbert Kubicek, weniger die Pläne der Industrie zu kritisieren, als vielmehr eigene multimediale Vorstellungen zu präzisieren und entsprechend zu formulieren. Das betrifft insbesondere die Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Vor dem Hintergrund einer unbeschränkten Zahl von Sendefrequenzen helfe weniger die Kritik am kommerziellen Angebot denn eine positive und qualitative Definition des öffentlich-rechtlichen Angebots – gerade jetzt während der Verhandlungen um einen neuen Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer.

Bei den auf der Tagung vorgetragenen Analysen dominierte die naheliegende Erkenntnis, daß Multimedia vor allem die Arbeitswelt trifft und dabei etablierte Unternehmensstrukturen und traditionelle Branchengrenzen schlicht ignoriert. Tradierte Strukturen werden im Zuge digitaler Konvergenz zu Innovationshemmnissen und verschwinden.

Tatsächlich werden Gewerkschaften, die dieser Entwicklung nicht auch organisatorisch Rechnung tragen, weder die gesellschaftliche noch ihre eigene Zukunft mitgestalten können. Angesichts der behäbig anlaufenden innergewerkschaftlichen Debatte kursierte unter den Tagungsteilnehmern denn auch dieser Scherz: „Der DGB lädt zum Thema Multimedia, und viele Einzelgewerkschaften schicken ihre Pressesprecher – zur Fortbildung, wegen der vielen neuen Programme.“ Wolfgang Hippe