Dia-Stücke in trockener Atmosphäre

■ Karg: James Colemans „Projected Images 1972–1994“ im Kunstmuseum Luzern

Beobachtung an der Kasse: Wo denn die Kunst sei, jaja, drei Dia- installationen von Coleman, aber die schönen Räume stünden doch leer – soweit ein Besucherkommentar. In leicht andachtsvollem Dämmerlicht surren dann die Lüfter der Projektoren. Jeweils an der Decke und zwei Wänden wurde schallschluckendes Isoliermaterial angebracht. Gepolstert wie eine Gummizelle, ergibt sich so eine trockene Akustik. Da Sitzgelegenheiten fehlen – man lehnt sich an die softe Wand oder sitzt wie zum Picknick auf dem Boden –, erscheinen die drei Projektionssäle im Luzerner Kunstmuseum noch karger. In jedem der Räume stehen Regale mit computergesteuerten Karussellprojektoren nebst synchronisierter Klangzuspielung; an der Wand hängen sichtbar die Lautsprecherboxen: Statt in die Vorführkabine verbannt zu werden, ist die audiovisuelle Apparatur stets präsent.

Vertonte Diashows wirken im Zeitalter spottbilliger Videogeräte und verkaufveranstaltungsartiger Multimedia antiquiert: Ein Hauch von siebziger Jahre weht durch die Räume. Möglicherweise liegt dies am suggestiven Anspruch des irischen Künstlers James Coleman, durch seine Dia-Stücke die Besucher über einen Zeitraum von achtzehn bis vierzig Minuten festsetzen zu wollen. Denn der dem Theater innewohnende und oftmals als quälend empfundene zeitliche Ablauf seiner narrativen Installationen entspricht nicht der Gewohnheit, im Museum gleichgültig von Bild zu Bild zu zappen.

James Coleman hatte sich in den frühen 70er Jahren von der Malerei abgewendet. 1973 kuratierte er in Dublin die erste irische Ars-povera-Ausstellung. Sein 1972 entwickeltes „Slide Piece“ gehört zur Species der armen, kargen und konzeptuellen Avantgarde. Im Endlosbetrieb zeigt das „Dia- Stück“ einen Platz in Mailand mit Zapfsäulen, parkenden Autos, kahlen Platanen, Häuserfassaden: Nichts Besonderes also, kurz nach Tagesanbruch fotografiert. Die Tonspur transportiert dazu penible Bildbeschreibungen eines eher ausdruckslosen Sprechers. Beim wiederholten Diawechsel sucht man nach Unterschieden zum vorangegangenen Bild, doch die sprunghaften Perspektiven der eingesprochenen Kommentare beziehen sich auf die immer gleiche Ansicht: Wahrnehmungschärfung, Sehgewohnheiten aufbrechen, dokumentierter Alltag als real world – „you name it“. Im Katalog nennt Benjamin Buchloh die Isolation einzelner Aspekte unter steter Verlagerung des Beobachterschwerpunktes – Coleman bat mehrere Personen um ihre Beschreibung – „Rashomon-Effekt“. Zwischen „Slide Piece“ und der im ersten von insgesamt drei Aus

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stellungsdurchgängen gezeigten Mehrfachprojektion „Charon (MIT Projekt)“ liegen 17 Jahre. Zunächst sieht man hier einen Jeep, der in ein Absperrungshütchen einer Baustelle gefahren ist. Das Stück umfaßt 14 knappe Episoden: Unfall, Aufnahmen von Luxus-Interiors, Werbe-Settings, Atmosphärisches (Sonnenuntergang). Sie haben durch die jeweilige Örtlichkeit und inszenierte Stimmung klare Binnenstrukturen. Doch hier geht es nicht mehr um genaue Sicht aufs Reale, sondern um Konstruktion von Erinnerung und sozialer Geschichte durch Image-Produktion. So ist der Fahrgastraum des von der Straße abgekommenen Jeeps grün beleuchtet, während der diffuse Hintergrund Kinofilmblau strahlt: So etwas würde kein Unfallreporter vorfinden. Durch kunstvolle Überblendung führt Coleman die Bildproduktion als Artefakt vor.

Wie Yvonne Rainer oder Dan Graham sträubte sich Coleman gegen die dogmatisch gewordenen Konventionen der Moderne und achtete doch gleichzeitig eben diese anfänglich durchlaufene Avantgarde-Schulung. Dekonstruktion, Fiktion, Illusion, Fake, Theatralik und Kitsch signalisieren den Zweifel an reiner Information, Unmittelbarkeit und „Echtheit“ der Fotografie. Während er sich der Tradition von Theater, Choreographie, Malerei, Literatur und „tableau vivant“ bedient, zerstört er deren tradierte Werte durch Anleihen bei Arztheftchen, „photoromanzas“ und Soap-operas. Dazu benutzt er auch Kommerzfotografie aus Modejournalen, Innenausstattung oder Popindustrie.

Die Theatralik speziell der neueren Diastücke sind vom Körperkult, etwa der Performancebewegung, weit entfernt. Viel eher wirken die Aufnahmen wie Standfotos aus einem Wachsfigurenkabinett, wobei sich ihr signalhafter Lifestyle vom übersichtlichen Hintergrund gut abhebt. Colemans Akteure werden zwar wie Models statusgemäß eingekleidet und geschminkt, zugleich begleitet sie ein leicht modrig-verlebter Touch, der manchmal in die Peter-Greenaway-Obskuritätenfalle zu tappen droht. Besonders deutlich wird dies in „I.N.I.T.I.A.L.S.“, der jüngst fertiggestellten Mehrfachprojektion. Sie spielt in einem morbiden Krankenhaus-Setting und gehört zu einer Trilogie, deren beide anderen, ebenfalls 18 Minuten dauernden Teile – „Background“ (1992) und „Lapsus Exposure“ (1993) – im letzten Abschnitt des Luzerner Zyklus parallel präsentiert werden.

Mit den insgesamt sieben vom Dia Center for the Arts aus New York übernommenen, scheinbar karg wirkenden Diashows betreibt das Kunstmuseum Luzern demonstrativ einen Rückzug auf Raten. Denn um Platz zu schaffen für Jean Nouvels Meganeubau aus Kongreß-, Konzert- und Ausstellungshalle, wird das klassisch-moderne Gebäude am Vierwaldstätter See saalweise niedergerissen. Jochen Becker

Bis 18.6., Luzern. Katalog 34 sFr.