■ Die Bremer SPD votiert für eine große Koalition
: Selbstmord aus Angst vor dem Tod

Nicht nur Nordrhein-Westfalens Bergbau-Gewerkschaft wird sich freuen: Die erste Mitgliederbefragung eines SPD-Landesverbandes über die Koalitionspräferenz hat selbst im „grünen Bremen“ eine Mehrheit für die große Koalition und gegen Rot- Grün ergeben. Trotz des äußerst knappen Abstimmungsergebnisses ist diese Tatsache nicht wegzuinterpretieren, hat sich doch mit 54 Prozent ein sehr hoher Anteil der Bremer Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen an dem Urnengang beteiligt. Trotzdem kann das Bremer Ergebnis keineswegs auf andere Bundesländer und andere Zeiten übertragen werden. Zu viele sehr bremische Gründe haben dabei eine Rolle gespielt.

Da ist zum ersten das Ergebnis der Landtagswahl vom 14. Mai. Rot-Grün hätte danach in der Bürgerschaft nur über die denkbar knappste Mehrheit von 51 gegen 49 Stimmen verfügt. Und das bei einer SPD- Fraktion, aus der heraus in den vergangenen drei Jahren bei allen wichtigen geheimen Abstimmungen mindestens fünf „Heckenschützen“ mit der CDU- Opposition gestimmt hatten. Viele SPD-Mitglieder haben erklärtermaßen nur deshalb für Rot-Schwarz votiert, um ihrer Partei die große Peinlichkeit zu ersparen, bereits bei der geheimen Senatswahl mit den rot-grünen Stimmen keine Mehrheit zu bekommen.

Allen voran hatte auch der neue SPD-Spitzenkandidat Henning Scherf dieses Problem im Kopf, als er sich vor der Mitgliederbefragung zwar zu seiner „Wunschkoalition Rot-Grün“ bekannte, aus taktischen Gründen aber auch nicht ausschloß, seine Partei in die große Koalition zu führen. Wenn sich schon unser Spitzenkandidat nicht zutraut, die Fraktion zusammenzuhalten, woher sollten wir dann diesen Optimismus nehmen? haben sich viele Mitglieder gedacht und schon in den Wochen vor der Parteiabstimmung den rot-grünen Kopf eingezogen. So war die öffentliche Diskussion bis auf einen klaren rot-grünen Aufruf der Bremer Gewerkschaften von den Warnungen vor Rot-Grün bestimmt, die von Hans Koschnick bis zu Klaus Wedemeier fast die gesamte SPD-Prominenz verbreitete.

Um so erstaunlicher, daß trotzdem fast genau die Hälfte der Mitglieder für Rot-Grün votierte. Haarscharf ist die Bremer SPD dabei um den größten anzunehmenden Unfall herumgekommen. Wären die 20 entscheidenden Stimmen nämlich nicht für Rot- Schwarz, sondern für Rot-Grün abgegeben worden, hätte die Parteiführung tun können, was sie will, es wäre in jedem Fall falsch gewesen. Der Versuch, eine rot-grüne Regierung zu zimmern, wäre schon bei der Senatswahl im Desaster geendet, entgegen dem Mitgliedervotum gleich auf die große Koalition zuzusteuern hätte die Partei vollends zerrissen. Das Ergebnis der Bremer SPD-Mitgliederbefragung war kein Freibrief für Koalitionen mit der CDU, sondern der letzte Rettungsversuch einer nach zwei gnadenlosen Wahlabstürzen kaum noch atmenden Partei. Dirk Asendorpf