Neuer Zeuge bezeugt Mord an Grams

■ Pensionär will gesehen haben, wie Polizei den RAF-Angehörigen erschoß / Der Staatsanwalt zweifelt

Berlin (taz) – Ein neuer Zeuge soll bestätigen, daß Wolfgang Grams am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen tatsächlich von Mitgliedern der Grenzschutzsondereinheit GSG 9 erschossen wurde. Bei dem damaligen desaströsen Polizeieinsatz waren der Polizist Newrzella vermutlich von Grams erschossen und Grams' Gefährtin, das RAF-Mitglied Birgit Hogefeld, festgenommen worden. RAF-Mitglied Grams kam unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben. Die Bundesregierung zog in einem Bericht den Schluß, der bei dem Schußwechsel verletzte Grams habe sich selber erschossen – eine Version, die unter anderem von dem renomierten Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Düsseldorfer Universität, Profesor Wolfgang Bonte, in Zweifel gezogen wird.

Wie die Anwälte der Eltern von Grams gestern mitteilten, liegt dem Generalstaatsanwalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Alexander Prechtel, die beeidete richterliche Aussage eines bisher unbekannten Zeugen vor. Dieser soll bekunden, daß er „aus etwa 15 Metern Entfernung beobachtet habe, wie zwei Personen zu einem zwischen den Schienen liegenden Mann hingelaufen seien. Einer dieser Personen habe sich neben die am Boden liegende Person gekniet, dieser eine Waffe an den Kopf gesetzt und abgedrückt“.

Für die Rechtsanwälte der Familie Grams, Andreas Groß aus Wiebaden und Thomas Kieseritzky aus Frankfurt am Main, deckt sich die Aussage des neuen Zeugen damit im Kern mit den Angaben früherer Beobachter. Eine Kioskverkäuferin auf dem Bahnsteig und ein anonym gebliebener Zeuge des Magazins Der Spiegel hatten übereinstimmend von einer hinrichtungsähnlichen Szene auf der Bahnanlage berichtet. Die beiden Anwälte zogen gestern die Schlußfolgerung, „daß es keine vernünftigen Zweifel daran geben kann, daß Wolfgang Grams durch einen GSG-9-Beamten erschossen worden ist“. Bereits im Juni letzten Jahres hatten beide Strafanzeige gegen drei der eingesetzten Grenzschutzbeamten erstattet und beantragt, ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes einzuleiten.

Der Generalstaatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern, Alexander Prechtel, bestätigte gestern auf Anfrage die Aussagen des neuen Zeugen. Dieser habe sie am 29. März auf Veranlassung seiner Behörde vor dem Amtsgericht in Bremen abgegeben. Prechtel zog aber dessen Glaubwürdigkeit in Frage. Zum einen, sagte Prechtel, müsse man fragen, warum sich der neue Zeuge erst eineinhalb Jahre nach der Schießerei auf dem Bahnhof gemeldet habe, zum anderen müsse geklärt werden, „was eigene Kenntnis oder was Zeitungslektüre ist“. Wie Prechtel weiter erklärte, habe er die Unterlagen mit den neuen Aussagen den Rechtsanwälten zur Verfügung gestellt.

Die Rechtsanwälte Groß und Kieseritzky kritisiereten gestern Aussagen Prechtels, wonach „im Hinblick auf den neuen Zeugen nichts Sensationelles zu erwarten sei“. Dies lasse darauf schließen, daß auch bei der Generalsstaatsanwaltschaft in Rostock „an einer gerichtlichen Überprüfung der Todesumstände von Wolfgang Grams kein Interesse besteht“.

Bei dem neuen Zeugen handelt es sich um den 71jährigen Ludwig G. aus Bremen, der als Beruf dilpomierter Journalist angibt. Er sei auf dem Weg von Schwerin nach Hamburg gewesen zu sein. Beim Umsteigen in Bad Kleinen habe er in der Warteizeit auf den Anschlußzug die Schießerei auf dem Bahnsteig miterlebt. Er habe dabei gesehen, wie einer der Beamten dem auf den Bahngleisen liegenden Wolfgang Grams die Waffe an den Kopf gehalten und „abgedrückt“ habe. Über sich selbst gab der Zeuge zu Protokoll, er betreibe einen „investigativen und aggressiven Journalismus, insbesondere gegen Personen, die beim Lügen ertappt werden.“ Zu der Aussage kam es, nachdem Ludwig G. auf einen in der Welt im Januar veröffentlichten Leserbrief eines Grenzsschutzsprecher zu den Vorgängen in Bad Kleinen schriftlich antwortete. Dieses Schreiben wurde von dem Grenzschutzbeamten an die Schweriner Staatsanwaltschaft und von dort an den Generalstaatsanwalt in Rostock weitergeleitet. Ludwig G. gibt an, sich unmittelbar nach dem tödlichen Polizeieinsatz an die Staatsanwaltschaft Schwerin schriftlich gewendet zu haben. Daraufhin sei keine Reaktion erfolgt, er habe dies als Beleg dafür angesehen, daß die Vorgänge vertuscht werden sollten. Wolfgang Gast