Sitzen bis zum bitteren Ende

■ Seit Montag wetteifern drei Berliner in einem Marathon-Durchhaltetest um den Gewinn einer Nobelkarosse / Alle drei Stunden zur zehnminütigen Pinkelpause

Mach unser Auto nicht kaputt!“ ruft Antje S. ihrem Mann Matthias zu, der seit 48 Stunden in dem feuerwehrroten Mercedes 180 C unter dem Funkturm am Alexanderplatz sitzt. Mit ihm an Bord sind die 26jährige Alexandra L. aus Hellersdorf und der 31jährige Hardy F. aus Neukölln. Was die beiden Männer und die junge Frau in dem 50.000-Mark-Bonzenhobel hält, ist der Kampf gegen die Zeit: Denn wer es am längsten in dem Mercedes aushält, darf ihn als Eigentümer nach Hause fahren. Die Regeln des von einem Boulevardblatt und einem Berliner Rundfunksender veranstalteten Durchhaltemarathons sind eisern. Weder Bücher noch andere Gegenstände wie Fernsehportables sind zulässig. Die Teilnehmer dürfen das Auto nur verlassen, wenn sie die Toilette aufsuchen müssen.

Allerdings höchstens alle drei Stunden für maximal zehn Minuten. Vertrackterweise läßt sich die Notdurft nicht für jeden so ohne weiteres dem Dreistundenzyklus unterordnen. Einen der Teilnehmer erwischte es bereits am Montag abend um 22.42 Uhr: Weil er den Wagen wegen einer Pinkelpause Minutenbruchteile zu früh verließ, wurde er schließlich disqualifiziert.

Die zum Medienspektakel aufgeblasene Autovergabe unter dem Motto „Durchhalten und abfahren“ belastet die Teilnehmer offensichtlich mehr, als diese sich ursprünglich vorgestellt hatten. Da sind zähes Sitzfleisch und Nervenstärke gefragt.

„Das Rumsitzen ist auf die Dauer ganz schön anstrengend – man kann sich nicht strecken“, klagt Alexandra L. Die Bauzeichnerin hat für den Wettkampf im Zeittotschlagen eigens Erziehungsurlaub genommen und kauert nun hinter dem Lenkrad der Karosse. Die Sitzpositionen der vier Teilnehmer wurden zwar vorher ausgelost, doch haben die Kontrahenten abgemacht, alle 24 Stunden die Plätze zu wechseln. Glücklicherweise. Denn nach dem Ausscheiden des vierten Teilnehmers, der von den Veranstaltern zum Trost mit einer Flugreise zum Rolling-Stones-Konzert nach London entschädigt wurde, ist der Rücksitz der bequemste Platz geworden.

Noch mag Mathias, der arbeitslose Diplominginieur aus Marzahn, keine Prognose über sein Durchhaltevermögen abgeben: „Frag mich nicht nach Tagen. Im Augenblick denke ich über die nächsten drei Stunden nach“, erklärt er, räumt aber ein, daß er ziemlich sicher ist, wenigstens fünf Tage auszuhalten. Denn wenn sie mindestens fünf Tage im Wagen ausgehalten haben, bekommen die Autoanwärter für ihre Ausdauer rückwirkend und von da an für jeden weiteren Tag 500 Mark.

Um die Gefahr abzuwenden, daß man im Frühjahr des Jahres 2005 die Sklette der längst in Vergessenheit geratenen Wettkampfteilnehmer aus der dann völlig verrosteten Limousine zerren muß, überwacht eine Ärztin den Gesundheitszustand der Aussitzer. Tagsüber werden sie von insgesamt vier Hostessen betreut. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken, so versichern die drei, sei hervorragend und lasse keine Wünsche offen. Das einzige Problem sei der Mangel an Schlaf. Denn abgesehen davon, daß sich im Sitzen schlecht schlummern läßt, mäandern nachts auch noch Voyeure um das Auto rum. Bis um 3 Uhr früh, beklagt sich Mathias L., seien Neugierige um das Auto herumgeschlichen. Als er eine herumstreunende unde offensichtlich randalierende Frau um Verständnis für seinen Wunsch nach Nachtruhe bat, giftete diese rotzfrech: „Wenn Sie einen Mercedes verdienen wollen, brauchen sie auch nicht zu pennen!“ Peter Lerch

Die taz wird den körperlichen Verfall der Dauersitzer in den nächsten Tagen fotografisch dokumentieren.