Geschichte als politische Waffe

Diskussion in der Humboldt-Universität über den Umgang der Deutschen mit dem Erbe zweier Diktaturen / Straßennamen: Alle gegen „deutschnationale Mogelpackung“ des Verkehrssenators  ■ Von Ralph Bollmann

Daß das Land Versöhnung brauche, wie vor einiger Zeit ein Buchtitel suggerierte, mag der Historiker Heinrich August Winkler nicht sehen. „Das Land braucht auch Streit“, hält er dagegen und lud am Dienstag abend in den Senatssaal der Humboldt-Universität zu einer Podiumsdiskussion über den Gebrauch der Geschichte als politische Waffe. PDS-Linksaußen Uwe-Jens Heuer einerseits, die Ex-Bürgerrechtler Freya Klier und Stefan Hilsberg sowie der CDU-Fraktionsvize Uwe Lehmann-Brauns andererseits durften unter den analytischen Blicken von Winkler und der bündnisgrünen Ex-Schulsenatorin Sybille Volkholz aufeinander losgehen.

Wer nun freilich eine Analyse erwartet hätte, von welchen Akteuren welche Geschichtsbilder in welcher Weise in der politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert werden, fand sich enttäuscht. Das mußten die Zuhörer schon selbst leisten. Die Diskutanten boten dafür das geeignete Anschauungsmaterial, waren sie doch im virtuosen Gebrauch des gesamten Arsenals historisch-politischer Gefechtsmittel bestens geübt. „Die Diskussion droht akademisch zu werden“, legte Hilsberg gleich zu Beginn die Waffengattung fest. Die banale These, daß die Vergangenheitsaufarbeitung einen „sehr sensiblen Umgang“ erfordere, glaubte er dennoch auf Adorno und Habermas stützen zu müssen.

Heuer verdeutlichte die Instrumentalisierung von Geschichte am Beispiel des Totalitarismus-Begriffs. Galt die DDR in der westdeutschen Debatte der 70er und 80er Jahre nur noch als autoritär, werde sie nun wieder als totalitär mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. Was Heuer als „schlimme Kampagne“ gilt, findet Klier ganz selbstverständlich. „Die DDR war für mich eine ultrarechte Diktatur“, bekräftigte sie ihre These, die sie mit der Praxis einer „rein deutschen Volksgemeinschaft“ begründete.

Erstaunliche Parallelen zeigten sich dagegen zwischen Heuer und Lehmann-Brauns. Wenn Mimik etwas über die Persönlichkeitsstruktur verrät, gaben sich beide als Brüder im Geiste zu erkennen. Mit finsteren Gesichtszügen, zuckenden Mundwinkeln und in die Hand gestütztem Kopf saßen sie symmetrisch zu beiden Seiten des Podiums. „Wir beide sind Juristen“, hob Lehmann-Brauns hervor, zeigte aber mit Heuers Außenseiterrolle kein Mitleid. Als er einst an der Freien Universität allein auf weiter Flur gegen die Achtundsechziger stritt, sei er in der gleichen Situation gewesen. Lehmann-Brauns gab sich überrascht, daß auch Heuer die DDR nicht als Rechtsstaat sieht. „Was ist los mit Ihnen? Sie unterscheiden sich ja kaum noch vom Podium. Machen Sie einen Flügel rechts von Herrn Gysi auf!“

In der Tat verwunderte es, daß die Mitdiskutanten ausgerechnet Heuer für die totalitäre Rechtsauffassung der SED haftbar machen wollten. Immerhin hatte er in den Debatten der DDR-Juristen um den sozialistischen Demokratiebegriff, wenn auch in Maßen, für ein Wiederaufgreifen bürgerlichen Rechtsstaatsdenkens plädiert. Kein Wunder also auch, daß er das Bundesverfassungsgericht vehement gegen die zunehmenden Angriffe der Politik in Schutz nahm. Hilsberg dagegen bezeichnete die Entscheidung zur Strafbarkeit von DDR-Spionen als „fatales Fehlurteil“. Lehmann-Brauns qualifizierte die Hamburger Richter als „Verständnis-Wessis“ ab, die vor kurzem Bärbel Bohley untersagt hatten, Gregor Gysi öffentlich einen Stasispitzel zu nennen.

Wer über Geschichte als politische Waffe spricht, kann natürlich auch über die Straßennamen nicht schweigen. So umstritten in der Runde Clara Zetkin oder Karl Liebknecht war, so einig waren sich alle darin, daß Verkehrssenator Herwig Haase den legitimen Rahmen einer Instrumentalisierung von Geschichte überschreitet. Winkler, selbst Mitglied in der von Haase eingesetzten Umbenennungskommission, warf dem Senator vor, deren Vorschläge in eine „deutschnationale Mogelpackung“ verwandelt zu haben. Statt mit Matthias Erzberger, Rudolf Hilferding oder Theodor Wolff demokratische Traditionen zu stärken, begebe sich Haase mit Namen wie Danziger Straße oder Baltenplatz zurück in den deutschen Osten.

Jedenfalls ist die Geschichtspolitik ein vermintes Gelände, auf dem jeder Schritt bedacht sein will. Das mußte auch Volkholz erfahren, die beiläufig bemerkt hatte, sich mangels authentischer DDR- Erfahrung mit Vorwürfen zurückhalten zu wollen. Genau dieses Argument habe doch Volkholz' Generation nicht gelten lassen, als sie ihren Eltern deren Verstrickung in den Nationalsozialismus vorhielt. Das gab wiederum Lehmann- Brauns die Gelegenheit, die Geschichte der Westberliner Linken aus seinem Waffenarsenal hervorzuholen. Volkholz entgegnete, sie fände es gut, „wenn wir alle mit Selbstkritik anfangen“. Dazu sah ihr Kontrahent freilich keinen Anlaß: „Sagen Sie mir einen Fehler. Ich finde im Moment keinen.“