„Dies intensive Feuer“

Zum Siegen verdammt: die professionellen Fußballerinnen aus den USA sind im WM-Halbfinale  ■ Aus Gävle Matthias Kittmann

Das ist schon hart an der Grenze, was da über die Mattscheibe flimmert. Unter dem Titel „Road to Sweden“ haben die Werbestrategen eines amerikanischen Schuhherstellers tief in die nationalpsychologische Schublade gegriffen: „Wir sind Fleisch, wir sind Blut, und wir gehören zusammen. In guten wie in schlechten Tagen.“ Es klingt wie ein Eheversprechen, und etwas Ähnliches beschwören fünf Frauen des US-Fußballteams in diesem Werbespot auch: „Ob krank oder gesund. Durch dick und dünn. Bis daß der Tod uns scheidet – oder der Weltmeistertitel.“ Der Schauer ist beabsichtigt. Nur eines fehlt in dieser Aufzählung: Ob gut oder schlecht. Die Mission der Amerikanerinnen hier bei der WM in Schweden heißt Erfolg, Platz eins – nichts anderes. Nach dem Viertelfinalsieg gegen Japan (4:0) fehlen ihnen nur zwei Siege. Das bedeutet nicht nur Härte gegen den Gegner, sondern auch gegen sich selbst. Ob krank oder gesund. Die US-Frauen sind nicht zimperlich. Weder im Fernsehen noch auf dem Rasen. Sie dürfen es auch gar nicht sein. Fußball ist längst nicht mehr ihr Hobby, sondern ihr Beruf. Sie werden dafür bezahlt, Weltmeisterinnen und 1996 in Atlanta Olympiasiegerinnen zu werden. Seit November 1994 beziehen die meisten von ihnen ein Gehalt von bis zu 40.000 Dollar im Jahr. Der Etat dafür wurde aus dem Überschuß der Männer-WM von 94 abgezweigt. Dafür mußten die jungen Frauen alle nach Florida umziehen. Mit Hausrat und, wenn sie wollten, Mann und Kind. Seit Januar haben sie sich in Sanford, einem Vorort von Orlando, auf die WM vorbereitet. Training, Training, Training. Keine Mannschaft konnte sich so intensiv für das WM-Turnier präparieren wie dieses Team.

„Endlich müssen wir nicht mehr bis zum Umfallen arbeiten und dann auch noch in der spärlichen Freizeit mit der Nationalmannschaft trainieren“, sagt Michelle Akers. Der Star des US-Teams kommt mit Sponsorenverträgen auf etwa 150.000 Dollar pro Jahr. Nach der WM 1991 in China wurde sie in einem amerikanischen Sportmagazin unter den 20 besten Athleten der Welt aufgeführt, in allen Kategorien. „Das war ganz nett“, findet sie, „aber ich bin kein Michael Jordan.“ Selbst sie wandert auf einem schmalen Grad. Mehrere Arthroskopien an beiden Knien, Achillessehnenprobleme und im letzten Jahr eine Drüsenerkrankung: der Körper zollt der extremen Beanspruchung Tribut. Sie erduldet die Verletzungen, denn Tore schießen tut weh. Zusammen mit der Deutschen Heidi Mohr kämpft Michelle Akers um die Krone der erfolgreichsten Torjägerin aller Zeiten. Beide liegen bei knapp über 70.

Women-Soccer ist nicht irgendwas in Amerika: „Woanders in der Welt spielt Frauenfußball die zweite Geige“, sagt Trainer Tony DiCicco, „bei uns nicht.“ Was natürlich auch daran liegt, daß der Männerfußball gar nicht recht im Orchester vertreten ist. Aber viele Mädchen entschließen sich eben mittlerweile zum Fußballspielen an Highschool und College. Soccer ist die billigste Möglichkeit, die vom Gesetz vorgeschriebene Gleichbehandlung zu erreichen. Und das Nachrichtenmagazin Newsweek befand: „Der Sport der Einwanderer ist zu einer Mini-Leidenschaft in den Vorstädten geworden.“ Die Größe des Landes fördert verschiedene Spielkulturen. Im Nationalteam ergänzen sich die leichtfüßigen Kalifornierinnen und die Kämpfertypen aus den rauhen Neuenglandstaaten ideal, charakterisiert das Fachblatt Soccer-America.

Ihr Tun stellen die US-Fußballerinnen nicht in Frage, jedenfalls nicht öffentlich. „Wir sind Amerikaner. Wir haben dieses intensive Feuer in uns“, sagte Michelle Akers unlängst. Wie hart es sein muß, sich monatelang zu kasernieren, von Familie und Freunden getrennt zu sein, darüber verlieren sie kaum ein Wort. Sie kennen die Mechanismen des Marktes und der PR-Arbeit, kritische Anmerkungen gehen nicht über ihre Lippen. Wie der Erfolg erkauft wird, ist hinterher egal. Hinterfragen untergräbt das Selbstbewußtsein. Sie wissen, daß ihnen die Wettkampfpraxis der europäischen Nationen fehlt, weil außerhalb der Nationalmannschaft kein organisierter und regelmäßiger Spielbetrieb stattfindet. Aber ihr Selbstbewußtsein ist unerschütterlich. Und das zählt im entscheidenden Moment. Selbstvertrauen ist der Unterschied zwischen Niederlage und Sieg. Und nur um zu siegen, nehmen sie all die Strapazen auf sich. Bis das der Olympiasieg sie scheidet.