Koteletts in Apfelsauce

■ Die Brady Familie ist zurück! Stereotypen ohne Typen; Spaß, Spannung, Polyester: Wiedergeburt einer Fernsehserie aus dem Geist der Bekleidungsindustrie

Die Familie der „drei Jungen und drei Mädchen“ haust scheinbar wie vor über 20 Jahren in demselben, wenn nun auch nach Originalentwürfen rekonstruierten Muster-Modellhaus im Suburb Westdale, Los Angeles. Dort, wo Familienvater Mike Brady (Gary Cole) seinerzeit „jedes Holzfurnier“ selbst entworfen hat, ist außerhalb des rostrot gebeizten Hauszauns und dem grünen Kunstrasen allerdings auch für die sonst stoisch unwandelbaren US- amerikanischen Verhältnisse der Einfamilienhaussiedlungen eine Menge Leben und vor allem Zeit vorübergegangen.

Die Bradys leben in der Gegenwart, inmitten einer ebenso konstruierten und zeitgemäß-korrupten Neighborhood. Sie wirken dort wie Amish People oder eine religiöse Sekte: Auffällig „rein“ und harmonisch, ähnlich der irischen Kelly Family hierzulande oder der Mormonen-Unterhaltungsfamilie Osmonds aus Utah. Sämtliche Anwohner und ihr Nachbar „Onkel“ Ditmeyer (Michael McKean), ein mieser Häusermakler, der auf ihr Grundstück spekuliert, möchten sie dorthin zurückversetzt sehen. Um ein Einkaufszentrum bauen zu können, soll der Architekt Brady samt Mischpoke vertrieben werden. Das 30-Minuten-Problem der früheren Serien wird hier auf Spielfilmlänge gestreckt: 20.000 Dollar sind für eine Steuerrückzahlung zu beschaffen, sonst wird das traute Heim zwangsversteigert.

Die am 26. September 1969 zum ersten Mal in den USA ausgestrahlte Sendung „The Brady Bunch“ war Produkt der TV-Saison 1969/70, die eine Mischung heiterer Familiensagas hervorbrachte, um der Zensur im US- Fernsehen zu entgehen. Es gab zu der Zeit weder neue Spion- noch Detektiv-Sendungen, statt dessen wurde selbst der Veteran unter den Western, „The Virginian“, von alten Barschlägerei-Episoden bereinigt und durch die natürliche Gewalt aggressiv getriebener Rinderherden ersetzt.

Die Sendeanstalten kehrten in dieser Action-Adventure-Flaute zu einem bereits in den frühen Sechzigern bewährten Konzept von Arzt- und Anwaltstories im Stile eines „Onkel Bill“ zurück. Beide Berufsbilder gingen ja schließlich auch irgendwie mit intriganten Gesetzesbrechern und verlassenen Schönheiten um.

Zwischen Juli 1969 (mit der Live-Übertragung der ersten Schritte auf dem Mond) und der Erstausstrahlung der Sesamstraße ein Jahr später wurde „The Brady Bunch“ neben „Love-American Style“ und „Dr. Marcus Welby M.D.“ produziert.

Die Bradys schlugen eine schon damals schwer vorstellbare Brücke über den Generation Gap, wie er beinahe zeitgleich in George Lucas' „American Graffiti“ auftauchte. Ihr Konservativismus funktioniert auch heute. Obwohl sie bei Teenies nie den Beliebtheitsgrad der „Partridge Family“ um David Cassidy erreichte, wurde ihr intaktes Familienleben leise, aber beständig bis in die 90er Jahre getragen: In den USA wurde die Serie nach Ablauf der Erstausstrahlung seit 1974 durch Wiederholungen fortgesetzt. Dazu kamen „The Brady Kids“, ein Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1973; „The Brady Bunch Hour“ als 1977er-Show, „A Very Brady Christmas“ 1988 auf ABC, sowie „The Brady Movie“ 1989, und „The Bradys“ 1990 auf CBS-TV. Schließlich folgte 1992 die Bühnenshow „The Real Live Brady Bunch“ und das Buch „Growing up Brady“, von Original-Brady-Sohn-Greg-Darsteller Barry Williams geschrieben. In der aktualisierten Variante ist das Haus mit sämtlichen Details der originalen Fernsehfolgen, etwa der Küchen-Kreidetafel mit der Ankündigung „Porkchops with Apple- Sauce“ fürs abendliche Menü, aus den Paramount-Archiven im selben Studio aufgebaut worden, in dem die TV-Serie ursprünglich gedreht wurde. Die Farbgebung dieser Einrichtung ist erstaunlich brillant und erscheint wie nachkoloriert, so daß die normale Umgebung und ihre Gegenstände daneben fahl und blaß bleiben. So wirken die Farben mit der Intensität früher Op- und Pop-art aber doch vollkommen überbelichtet und unecht, wie auch die ganze Familie. Sie hebt sich gelegentlich nur durch noch überzogenere Knallfarben als etwas Lebendiges von dieser Kulisse ab. Jede einzelne Brady-Figur ist wie ein Replikant aus der Vorlage Teil dieser Ausstattung. Zugleich übertrieben geschminkt und dargestellt, sind sie natürlich nicht von dieser Welt, aber so wie etwa Barbie und Ken doch Idole aus Amerika und dementsprechend schwer von Begriff. Die deutsche Synchronisation läßt erahnen, daß sie den zu ihren Siebziger-Jahre-Umgangsformen passenden Slang sprechen.

Durch die Anhäufung von Zeitverschiebungen rutscht die Gruppe jugendlicher Eltern und reifender Kinder ein bißchen quer ins eigene Bild der Hippie-Kollektiv-Familie. Die Werte haben sich umgekehrt: Vom modernen und verständnisvollen Familienverbund zweier jungverwitweter Elternteile mit jeweils drei Kindern, den sie damals – zwischen Woodstock und Vietnam – darstellten, ist in den neunziger Jahren eine gesunde, konservative, weiße Familie übriggeblieben, die sich beflissen auf 50er-Jahre-Werte rückbesinnt.

Auf eine authentische Konstruktion der Gegenwart hingegen wird im Film verzichtet. Statt dessen nur kurze Zitate, Andeutungen: Seattle-Grunge-Rock, Metal, Sex und lesbische Highschool- Liebe. In diese Welt gehört jemand wie RuPaul einfach nicht rein, die als einzige Szene-Prominenz im 12-Millionen-Dollar-Film als Integrationsfigur moderner Geschlechtertoleranz auftritt – wenn man einmal davon absieht, daß die Haushälterin Alice ein Verhältnis mit dem Fleischer Sam haben darf. RuPaul spielt eine Schulpsychologin, die der an Minderwertigkeitskomplexen leidenden mittleren Tochter Jan (Jennifer Elise Cox) Ratschläge erteilt. Dann wird das Mädchen mit einigen aufdringlichen Takten aus RuPauls eigenem Hits „Work“ in die real world entlassen. Dort muß sie aber bald erkennen: „Draußen in der Welt, da wollten sie mich nicht haben, aber daheim bin ich ein Brady!“

Durch ihre bizzare und hartnäckige Art haben die Bradys bis ins Jahr 1995 überlebt, meint auch Co- Produzentin Jenno Topping: „Sie repräsentieren einen wohltuenden Wert, der sogar unrealistisch war, als sie das erste Mal auftraten.“

Jetzt kehrt sich die Idylle allerdings um: Weil sie als weißes Amerika ernsthaft für das Glück der Familie einstehen, werden sie diskriminiert und aus der städtisch vermischten Gemeinde ausgeschlossen. Man hegt Vorurteile gegen sie, zum Beispiel, daß sie noch immer Fleisch essen und eine Haushälterin haben, die umsonst für sie arbeitet. Der Brady-Clan gewinnt schließlich aber doch, wie in jeder anderen Folge auch, im Wettlauf mit der Zeit, rettet sich und sein Haus. Man hält zueinander, beißt die Zähne zusammen und bekommt dafür zum Schluß doch noch die Anerkennung der gesamten Neighborhood – wenn auch mit Kommentaren wie: „Unser Haus ist wichtiger als Geld. Nennt mich altmodisch, aber solche Dinge sind wichtig.“ Bettina Allamoda

The Brady Bunch – Die Brady Familie. Regie: Betty Thomas. Buch: diverse. Mit Shelley Long, Gary Cole, Michael McKean, Jean Smart. 88 Min., USA 1995.