Die Macht des „Sterns von Korea“

Ein Jahr nach dem Tod des Diktators Kim Il Sung hat sein Sohn und Nachfolger die politischen Ämter seines Vaters noch nicht übernommen  ■ Aus Pjöngjang Sheila Tefft

Im Schatten des heiligen Paekdu-Berges wurde Kim Jong Il, Sohn und ernannter Nachfolger des verstorbenen nordkoreanischen Diktators Kim Il Sung, einst in einem geheimen Militärlager geboren. Sein Vater, schon damals ein gefeierter Krieger, war bei der Geburt nicht anwesend. Er kämpfte gegen die Japaner in dem Guerillakrieg, der ihn später als den „Großen Führer“ des Landes an die Macht bringen sollte. Dennoch feierten Menschenmengen die Geburt des Sohnes und kündigten seine zukünftige Thronbesteigung an: „Oh, Volk von Korea! Wir verkündigen, daß der Stern von Korea geboren wurde!“

Während das Leben von Kim Jong Il unerbittlich von der Propagandamaschine seines Landes mythologisiert wird, wartet er fast ein Jahr nach dem Tod seines Vaters immer noch darauf, daß er die Zügel in die Hand nehmen kann.

Koreanische Experten nehmen an, daß Kim in diesem Jahr die politischen Ämter seines Vaters als Präsident und Parteichef übernehmen wird. Bisher hat er bereits einen beachtlichen Einfluß im Militär. Kim Jong Il ist Oberkommandierender der Armee und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsausschusses, er sitzt dem Militärkomitee der Kommunistischen Arbeiterpartei sowie der Kontrollmacht von Nordkoreas mächtigem Sicherheitsapparat vor.

Aber wie der Vater, der nun als einbalsamierter Leichnam in seinem ehemaligen Amtssitz „auf ewig“ ausgestellt werden soll, mußte sich auch Kim Jong Il eine mythische und heroische Vergangenheit aufbauen lassen. Dies ist offenbar nötig, um sich Respekt in Nordkorea zu verschaffen, wo fast alle jungen Männer in den Militärdienst eingezogen werden und wo das Militär eine Schlüsselrolle in der Vermittlung der Herrscher- Nachfolge spielt. Laut russischen und westlichen Historikern verbrachte Kim Il Sung den Zweiten Weltkrieg nämlich nicht im Kampf gegen Japan, sondern in Sibirien, wo auch der Sohn geboren wurde. Die künstlich aufgebaute Legende seiner Geburt nahe dem heiligen Berg Paekdu wird jedoch allgemein als ein Zeichen akzeptiert, daß der jüngere Kim der rechtmäßige Nachfolger des Großen Führers Kim Il Sung sei.

Auch wenn, so erklärt ein ausländischer Diplomat in Pjöngjang, die Ämter seines Vaters ein zusätzliches Symbol seiner eigenen Stärke und nicht seiner Schwäche seien, so habe er dennoch diese Ämter nicht nötig, um zu beweisen, daß er der Mächtigste sei. In der Tat hat der jüngere Kim nach dem Tod von Kim Il Sung im letzten Sommer Nordkorea praktisch regiert. Er schaffte dabei trotz aller Unkenrufe von Putschen und Bürgerkriegen einen überraschend sanften Übergang, der die erste dynastische Nachfolge in einem kommunistischen Land darstellt.

Möglicherweise wartet die militärische Führung, die nach der Kim-Dynastie die höchsten Stellen bekleidet, auf ein symbolisches Datum, um den jüngeren Kim zum Herrscher zu salben. Anlässe wären die Jahrestage zu Kim Il Sungs Tod, zu Koreas Befreiung von der japanischen Besetzung am 15. August, zur Gründung des nordkoreanischen Staates am 9. September oder der 50. Jahrestag der Arbeiterpartei am 10. Oktober.

Loyale Nordkoreaner tragen stolz Abzeichen von Kim Il Sung auf ihrem Revers, hingegen gibt es noch keine Anstecknadeln vom Sohn. „Die Leute sagen, sie würden gerne Buttons von Kim Jong Il tragen, aber er ist zu bescheiden, als daß er das zulassen würde“, sagt der Fremdenführer Chae Sung Chol westlichen Besuchern.

Bei Konflikten hat Kim Jong Il, dem eine schwache Gesundheit nachgesagt wird, bereits sehr verschiedene Gesichter gezeigt. Er erschien als politischer Hardliner, dem in der Vergangenheit terroristische Anschläge zugerechnet wurden, und als verwöhnter Playboy, der schnelle Autos und westliche Filme liebt und einst einen südkoreanischen Regisseur kidnappte, um das Kino seines Landes zu beleben. Auch als Technokrat wurde er bekannt, der Nordkoreas Auslandsinvestitionen durchboxte und der versucht, die Wirtschaft innerhalb der sozialistischen Grenzen seines Vater anzukurbeln.

Nach Meinung westlicher Beobachter könnte sein Überleben davon abhängen, wie schnell er eine neue Regierung mit Pragmatikern aufbaut. Er müßte die Arroganz seines Landes bezüglich des Nuklearprogrammes überwinden und dringend benötigte Wirtschaftshilfen ins Land holen. Beobachter erwarten weniger einen Putsch oder einen dramatischen Zusammenbruch des Kommunismus, als vielmehr, daß ein gemäßigteres Regime mit der Zeit langsam die Hardliner in der Regierung verdrängt.

Der jüngere Kim sieht sich einer Wirtschaft gegenüber, die von der Doktrin seines Vaters in den Ruin getrieben wurde. Schuld daran ist unter anderem der Verlust der einstigen sozialistischen Verbündeten China und der ehemaligen Sowjetunion. Wenn man in Betracht zieht, daß Kim Il Sung kürzlich einen Wechsel in der Wirtschaft ankündigte, erscheint es möglich, daß sich die Politik allmählich liberalisiert. „Wenngleich die Regierung an dem gegenwärtigen wirtschaftlich und politisch hochzentralisierten System festhält, will sie die Institutionen und deren Personal auf die internationalen Geschäftspraktiken vorbereiten, um sie erfolgreich in die Weltwirtschaft zu integrieren“, besagt ein Bericht des Entwicklungsprogrammes der Vereinigten Staaten von 1994.