Shell gerät ins Schwimmen

■ Boykott greift / Schüsse auf Tankstelle / Ein großer Teil, aber bei weitem nicht die ganze Ölverschmutzung in der Nordsee kommt von Bohrinseln

Berlin (taz/AP) – Die Versorgungsplattform Brent Spar ist unbeirrt auf ihrem zehntägigen Weg zum Atlantik. Grund genug für viele KundInnen des weltgrößten Mineralölkonzerns, den Shell- Boykott zu unterstützen. Er trifft bisher vor allem die Tankstellen des Konzerns in Deutschland; Tankstellenpächter in Hamburg sprachen von Einbußen zwischen zehn und 20 Prozent. Bis Ende des Monats rechnen manche gar mit einem Umsatzverlust von 50 Prozent.

Auf eine Shell-Tankstelle in Möhrfelden-Walldorf bei Frankfurt am Main sind in der Nacht zu Mittwoch sechs Schüsse abgegeben worden. Getroffen wurden eine Zapfsäule, ein Kassenhäuschen und ein Werbeplakat. Die Tankstelle war geschlossen, verletzt wurde niemand.

In Deutschland hat inzwischen ein breites Spektrum von Personen und gesellschaftlichen Gruppen zum Shell-Boykott aufgerufen. Darunter auch einige, die bisher wesentlich sanfter mit der Wirtschaft umgegangen sind: Finanzminister Theo Waigel (CSU) will auf dem G7-Gipfel der Industriestaaten in Halifax die Abgesandten aus London bitten, noch einmal über die Versenkung der Giftmülldeponie nachzudenken.

Der Vorsitzende der CDU- Fraktion im hessischen Landtag, Roland Koch, fand es „eigentlich selbstverständlich“, daß deutsche Autofahrer nun Shell-Tankstellen nicht mehr anfahren. Sie hätten die Macht, „durch verändertes Kaufverhalten ein Umdenken bei den Unternehmensverantwortlichen zu bewirken“. Bleibt die Empfehlung an die Umweltgruppen, auf diese Aussagen zurückzugreifen, wenn es um Sauereien auf deutschem Gebiet geht. Bei der Esso AG dürften erst mal die Sektkorken knallen. Die britische Exxon- Tochter besitzt zwar eine 50prozentige Beteiligung an der Brent Spar. Doch die Shell ist die offizielle Betriebsführerin und hat deshalb den Schwarzen Peter in der Hand.

Die Parteivertreter der Bonner Regierungskoalition sind beileibe nicht die einzigen, die Shell an die Bilanz wollen (siehe Kasten rechts). Der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen schreibt „Wenn schon tanken, dann nicht bei Shell.“ Auch die Signalwirkung der Versenkung wurde angeprangert. Schließlich ist die Brent Spar nur die erste von 416 in der Nordsee ankernden Bohr- und Versorgungsinseln.

Nach den neusten Schätzungen der Nordsee-Anrainerstaaten gelangen jedes Jahr 86.000 bis 210.000 Tonnen Öl ins Wasser, 29.000 Tonnen davon bei der Offshore-Förderung von Öl und Gas. Bei Schiffsunfällen und dem illegalen Auswaschen der Treibstofftanks auf dem Meer gehen jährlich zwischen 15.000 und 20.000 Tonnen über Bord, durch Flüsse und direkte Einleitung von Industrieunternehmen an der Küste wälzen sich weitere 23.000 bis 65.000 Tonnen in die Nordsee. rem