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Bis bald in Bihać

Die bosnisch-kroatische HVO ist in der Westherzegowina auf dem Vormarsch – mit der Unterstützung der regulären kroatischen Armee  ■ Aus Duvno Erich Rathfelder

Sein Gesicht ist so breit wie ein Pfannkuchen. Mile K., Offizier des „Kroatischen Verteidigungsrates“ (HVO), wie die bosnisch-kroatische Armee genannt wird, strahlt. „Wir sind überall auf dem Vormarsch“, sprudelt es aus ihm heraus. Und er nimmt einen kräftigen Schluck von dem Loza, dem aus Weintrauben gewonnenen Schnaps, der hier in dem Restaurant des Hotels von Duvno, einer Stadt in der nördlichen Westherzegowina, zum Kaffee gereicht wird. „Unsere Armee ist rund 50 Kilometer weit nach Nordwesten vorgestoßen, wir können jetzt von den Höhezügen des Dinaragebirges Knin mit dem bloßen Auge sehen.“ Und wieder erscheint ein breites Lachen auf seinem Gesicht.

Vor drei Jahren hatte Mile ernst dreingeblickt. Damals, im Frühjahr 1992, genauer am 5. April, als er von Duvno aus nach dem 25 Kilometer entfernten Kuprespaß abrücken mußte, wo schwere Kämpfe tobten. Während dieser ersten Tage des Krieges in Bosnien-Herzegowina wurde Duvno noch von der serbischen Artillerie beschossen. Balken waren zum Schutz vor Granaten über die Eingänge der Häuser gelegt. Die Sandsäcke, die vor den Fenstern aufgeschichtet waren, verdunkelten die Räume.

Die Stadt ist eine Hochburg der Kroaten

„Tomislavgrad“, wie die Kroaten die Stadt Duvno damals zu nennen begannen, war ein bevorzugtes Ziel der jugoslawischen Volksarmee. Dies ist auch nicht ganz verwunderlich, war die Stadt doch von jeher eine Hochburg der Kroaten – immerhin sind fast 90 Prozent der Einwohner Katholiken, die restlichen 10 Prozent Muslime, nur wenige Serben gab und gibt es hier.

Daß Duvno nach dem kroatischen König Tomislav aus dem Mittelalter umbenannt wurde, zeugte nicht nur von dem kämpferischen Willen der Kroaten, den Angreifern zu widerstehen, sondern auch von nationalistischem Sendungsbewußtsein. Der Name „Tomislavgrad“ steht nämlich für das Selbstbewußtsein der Westherzegowiner, die „besten Kroaten zu sein“, die härtesten Verteidiger des Kroatentums. Als damals, zu Beginn des Krieges, bei dieser ersten Begegnung mit Mile ein Luftalarm Kämpfer und Journalisten in die Schutzräume zwang, zweifelte er wie seine Kollegen dennoch etwas an der eigenen Courage. „Die jugoslawische Volksarmee hat alles, was sie zum Kämpfen braucht. Auf den Kuprespaß, kaum 25 Kilometer von uns entfernt, haben sie Artillerie aus Mostar herangeschafft, sie haben Panzer und Raketen, wir aber haben nur unsere Kalaschnikows.“

Anders als die Muslime in Zentralbosnien hatten die Westherzegowiner sich aber rechtzeitig auf den Krieg vorbereitet. Exilkroaten aus Kanada und Argentinien hatten schon Monate vor dem Krieg für eine militärische Ausbildung gesorgt. Und nach und nach waren Waffen in die Region geschleust worden. So konnte Duvno trotz der waffentechnischen Unterlegenheit gehalten werden, die Stadt Kupres jedoch ging 1992 an die Serben verloren.

Heute sind nur noch wenige Spuren aus jener Zeit in der Stadt zu sehen. Die unmittelbare Gefahr ist gebannt. Im März dieses Jahres ist Kupres wie auch der Paß in einer gemeinsamen Aktion mit der bosnischen Armee zurückerobert worden. Die serbische Artillerie kann von dort aus Tomislavgrad nicht mehr bedrohen. Die meisten Balken sind zur Seite geräumt, nur an der Tankstelle ist man vorsichtig, dort sollen sie weiterhin die Zapfsäulen schützen. Fast scheint es, als sei das Städtchen mit seinen rund 20.000 Einwohnern wieder zum zivilen Leben zurückgekehrt.

Die Geschäfte sind voll, landwirtschaftliche Geräte gibt es hier, Reparaturwerkstätten und ein Jugendkulturzentrum. Am Stadtrand werden neue Häuser gebaut. In den Bars und Kneipen überlagert ohrenbetäubender Hardrock die Gespräche der jungen Leute von schlankem, hochgewachsenem Typus, der für diese Gegend charakteristisch ist. Sie haben zivile Kleider angelegt, vor Monaten noch herrschte hier das Olivgrün der Armeeuniformen vor.

Mile nimmt erneut einen kräftigen Schluck von dem Loza. Und er hört den Nachrichten zu, die in dem Restaurant die dröhnende Musik abgelöst haben. Die Meldungen vom Aufmarsch der bosnischen Armee um Sarajevo lassen die Gespräche auch an den anderen Tischen verstummen. „Gemeinsam geht es doch besser“, sagt er. „Wir haben hier in Tomislavgrad nie Probleme mit den Muslimen gehabt.“ Und er weist in die Richtung der Altstadt, wo die Minarette der Moscheen das Stadtbild prägen. „Unseren Muslimen hier ist nichts passiert, nicht einmal, als Kroaten und Muslime sich in Mostar bekämpften.“

Die Moscheen im Zentrum stehen noch

In der Tat stehen die Moscheen in Duvno noch. In der Region um Mostar dagegen, im Tal der Neretva, in der Region Stolac, wurden sie während der Zeit des „Krieges im Kriege“ 1993/94 von den Soldaten der HVO gesprengt. Zu jener Zeit herrschte aber auch in Tomislavgrad weder Friede noch Freundschaft zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Es gab zwar keinen systematischen Terror, Heißsporne der HVO jedoch suchten nachts betrunken die Häuser muslimischer Familien auf. Die Telefonlinien für muslimische Familien wurden gekappt, Autos wurden „requiriert“, Menschen eingeschüchtert.

Muslimen wurde es verwehrt, gültige Ausweispapiere zu erhalten – weder den bosnischen Paß, der von den Westherzegowinern nicht akzeptiert wird, noch den kroatischen, den die westherzegowinisch-kroatische Bevölkerung automatisch erhält. Der Weg ins Ausland wurde ihnen so versperrt. Einige Familien sind deshalb noch im letzten Jahr nach Sarajevo umgezogen. Und daß Duvno die Geburtsstadt des berühmten und kürzlich mit Literaturpreisen überhäuften bosnischen Schriftstellers und Regisseurs Czevad Karahasan ist, will niemand wissen.

Auch Mile nicht. „Ich bleibe dabei, hier gab es keine Vertreibungen, der Terror war vereinzelt, kroatische Nachbarn haben den Muslimen geholfen, die Polizei hat aufgepaßt.“ Über die kroatischen Flüchtlinge aus Zentralbosnien mag so etwas wie ein „Ungeist“ in die Stadt gekommen sein, „aber die sind selbst von den Muslimen vertrieben worden, die Leute aus Bugojno zum Beispiel, und die können trotz der Föderation immer noch nicht zurück“. Und daß von hier aus der Krieg gegen die bosnische Armee 1993 koordiniert wurde, daß Tomislavgrad Nachschublager war, daß von hier aus die kroatischen Truppen nach Zentralbosnien zogen? „Das zählt nicht mehr. Jetzt sind wir wieder zusammen.“

Miles Gesicht ist rot geworden. Die frische Luft an diesem kalten und regnerischen Tag kühlt ihn etwas ab. Die Straße in die 30 Kilometer entfernte Nachbarstadt Livno führt durch eine Graslandschaft, die für die Täler der nördlichen Westherzegowina charakteristisch ist. In der Ferne erheben sich die schneebedeckten Berge des Dinaragebirges. An dem Ufer eines Stausees sind Straßensperren aufgebaut. Nicht einmal der Offiziersausweis von Mile hilft. Ausländern ist es ohne Sondergenehmigung verboten, in die Stadt vorzudringen. „Kriegsgebiet“, sagt der Posten lapidar.

In der Ferne dröhnen Motoren. Langsam nähert sich ein Militärkonvoi. Vier Panzer sind darunter, schwere Lastwagen und Busse voller Soldaten. Beim Näherkommen ist zu sehen, wie die Nummernschilder mit dem Zeichen HV abmotiert werden. Sie weisen die Fahrzeuge als kroatische Armeefahrzeuge aus. Mile wird unruhig. Das sollten Ausländer eigentlich nicht sehen. Reguläre kroatische Einheiten und nicht nur die kroatisch-bosnische HVO sind an den Kämpfen in diesem Teil Bosnien- Herzegowinas beteiligt.

Einer der Offiziere zuckt mit den Achseln. Auch auf der anderen Seite kämpften nicht nur Truppen aus Bosnien, sondern reguläre Truppen aus Serbien, aus Belgrad, Novi Sad und Nis. Dazu kämen noch Spezialtruppen wie die von Captain Dragan, dem berüchtigten serbischen Milizenchef, sowie die Bjeljina-Panther. Auch Krajina- Serben kämpften dort unter dem Befehl des Generals Mile Mrksić sowie Einheiten der bosnisch-serbischen Armee unter General Bosko Pavlić.

Die serbischen Soldaten sind demoralisiert

„Sie haben sogar Einheiten von der Bihać-Front und vom Posavina-Korridor abziehen müssen“, sagt Mile. Doch die kroatischen Truppen seien weiter auf dem Vormarsch. Das Dinaragebirge sei nun von den Kroaten beherrscht, die Straße zwischen der Serbenhochburg Knin und der von Serben besetzten Stadt Banja Luka sei abgeschnitten. „Unsere Truppen stehen vor Grahovo, wir werden weiter vorgehen, vielleicht treffen wir bald auf die Verteidiger der Enklave Bihać.“

In einem Café an der Strecke sitzt Ante P. Der Bauingenieur, der 25 Jahre in Berlin lebte, entschloß sich zu Beginn des Krieges, nach Livno zurückzukehren. Seither hat er in der HVO gekämpft. Jetzt will er wieder nach Berlin zurückfahren. „In vier Wochen ist es soweit. Ich werde nicht mehr gebraucht. Unsere Armee ist eine richtige Armee geworden, sie haben alle Waffen, sie schlagen die Serben auch ohne mich.“ Die serbischen Soldaten seien jetzt schon demoralisiert. „Sie fliehen, sobald sich unsere Truppen nähern, in einer Unterkunft stand sogar noch das warme Essen auf dem Tisch.“ Bald werde Knin eingekesselt sein und der Vormarsch sowohl in Richtung Bihać wie in Richtung Jaice fortgesetzt. Der Hinweis, man sollte in der Euphorie eines bescheidenen Sieges den Gegner nicht unterschätzen, wird mit einem Achselzucken beantwortet. Ante und Mile stoßen mit ihrem Loza lachend an.

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