Nur mit der Lupe zu sehen

Frauen auf den Markt: Das Berliner Künstlerinnenprogramm  ■ Von Carola Feddersen

Die Stadt Berlin leistet sich etwas in Europa Einmaliges: ein Förderprogramm für Künstlerinnen. 1,1 Millionen Mark werden seit Mai 1992 jährlich in die künstlerische Arbeit von Frauen investiert. Im Gegensatz zu den stets schrumpfenden Bundesmitteln haben sich die Kulturaufwendungen den Senats – prozentual gemessen am Berliner Gesamthaushalt – leicht ausbauen können. Und so konnte die Finanzierung für die Förderung von Künstlerinnen – ein Programm, das Kultursenator Ulrich Roloff–Momin explizit zu seinem politischen Ziel erklärt hat – auch in diesem Jahr komplett gesichert werden. Ein Vorzeigeprojekt ist das Engagement der Arbeitsgruppe „Kulturelle Aktivitäten von Frauen“ allemal, da schließlich auch in der Kulturpolitik offensiv Geschlechterdemokratie gefordert wird. In der Männerdomäne HdK hatte man dagegen weniger Bedenken, die eigenen Frauenfördermittel von insgesamt 350.000 Mark pro Jahr gehörig einzudampfen.

Die mit drei Stellen besetzte Arbeitsgruppe des Senats ist fest in Frauenhand und kümmert sich um die Beratung von Künstlerinnen und Projektgruppen. Sie hilft bei der Antragstellung, gibt Hinweise auf andere Fördermöglichkeiten und kümmert sich um den gezielten Aufbau der Infrastruktur von künstlerischen Frauenprojekten. Zusätzlich stellt die AG Kontakte ins Ausland her und informiert über dortige Qualifikationsmöglichkeiten. So hat beipielsweise die Filmemacherin Ramona Köppl- Welsh seit letztem Jahr ein Stipendium für die New York Film Academy. Sie erhält aus den Senatstöpfen monatlich 2.500 Mark, zuzüglich 300 Mark Kindergeld und die komplette Abdeckung der Reisekosten.

Die bürokratisch aufwendigste Arbeit der Geschäftsstelle des Künstlerinnenprogramms ist sicherlich die Verteilung auf die Bereiche „Künstlerische Projekte“, Einzel– und Projektstipendien (mit Laufzeiten von drei bis neun Monaten) und die Sparten „Interdisziplinäres“ und „Infrastruktur“. 400 bis 500 Anträge gehen jährlich ein; rund 10 Millionen Mark bräuchte man, um alle Ersuche zu berücksichtigen. Die Furcht der Frauen vor Selbstghettoisierung hat – angesichts des Runs auf die Förderungsmittel – offensichtlich kein Gewicht mehr. Bislang galten Stipendien und die Beteiligung an Ausstellungen, die ausschließlich für Frauen bestimmt waren, als imagegefährdend für diejenigen, die sich in der Kunstszene profilieren wollten. Zu rasch konnte das Stigma der „Tamponkunst“ eine objektive Beurteilung der künstlerischen Qualität eines Projekts außer Kraft setzen.

Trotz der negativen Konnotation des Begriffes „Frauenkunst“ in den 90ern will sich das Referat unter der Leitung von Ingrid Wagner-Kantuser für das nach wie vor relevante Thema einsetzen: die „Durchsetzung des Rechts auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit für Künstlerinnen“. Es sei traurig, daß Frauen bislang nur im „durchschnittlichen Kunst- und Kulturbetrieb“ präsent seien, „jedoch mit der Lupe gesucht werden müssen, wenn es um Führungspositionen und um die Beteiligung bei international renommierten Veranstaltungen geht“. Noch immer bekommt eine Künstlerin bei Ankauf eines ihrer Werke durch der Berliner Sammlungen lediglich 45 Prozent der Geldsumme, die ein männlicher Künstler dafür erhält.

Auch auf diese Politik möchte die AG – wenn auch nur indirekten – Einfluß nehmen. Um die Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Kunst von Frauen zu verändern, setzt sie deshalb verstärkt auf Öffentlichkeitsarbeit. So wird beispielsweise im November in der Akademie der Künste unter dem Thema „Verhüllte Interessen – Machtpositionen und Qualitätskriterien im Kunstbetrieb" eine theoretische Auseinandersetzung mit den kulturellen und ideologischen Hintergründen dieser Politik und den geschlechtsspezifischen Grenzziehungen im Kulturbereich stattfinden.

Für die paritätische Förderung und Veröffentlichung der Arbeiten von Künstlerinnen muß weiter hart gearbeitet werden. An der Ausstellung „Amerikanische Kunst“ im Martin-Gropius-Bau waren beispielsweise nur fünf Frauen beteiligt, moniert die Referatsleiterin. Vielleicht steckt die AG deshalb ihre Mittel zu einem hohen Prozentsatz in größere Projekte bereits bekannter Künstlerinnen und -gruppen. Für das FrauenMusikFestival „Wie es ihr gefällt“ 1994 im SO 36 bekam die Organisatorin Angela von Tallian 41.500 Mark, in diesem Jahr konnte sie sogar 63.150 Mark einstreichen – zusätzlich zu 47.000 Mark vom Referat für Rockmusik. Auch eine Diskussionsreihe der NGBK wird in diesem Jahr mit 13.300 Mark unterstützt.

Über die „Förderungswürdigkeit“ einer Arbeit oder eines Projekts befindet zur Zeit ein Beirat von neun Sachverständigen aus unterschiedlichen künstlerischen und kunsttheoretischen Bereichen: die Künstlerinnen Roswitha Baumeister und Else Gabriel, die Musikwissenschaftlerin Monika Bloß, die Kunstwissenschaftlerinnen Gunhild Brandler und Hildtrud Ebert, die Vorsitzende der Künstlerinnenvereinigung Gedok e.V., Hertha Pflumm–Schönewolf, die Filmemacherin Riki Kalbe, Margrit Manz von der literaturWERKstatt berlin und die Theaterwissenschaftlerin Kathrin Tiedemann.

Die Arbeitsbedingungen des ehrenamtlich und „unabhängig“ tätigen Teams sind so unabhängig nicht, da selbst die Richtlinien der Förderungspraxis vom Kultursenat dirigiert werden und die Damen ihr künstlerisches Votum diesem zur Entscheidung vorlegen müssen. Die Ansprüche der Senatsverwaltung sind hoch. Schwerpunktmäßig, heiß es in den Statuten, sollen „experimentelle und interdisziplinäre Arbeiten“ gefördert werden sowie Kunstvorhaben, die einen innovativen Beitrag zum aktuellen Diskurs über „neue ästhetische Konzepte“ leisten.

Diese Vorstellungen setzen offenbar ein hohes Maß an künstlerischer und methodischer Reflexion und Souveränität bereits voraus – ganz abgesehen von der eigentlichen künstlerischen Qualität des Vorhabens. Newcomerinnen hätten jedoch bei der Künstlerinnenförderung „durchaus eine Chance“, entkräftet Ingrid Wagner-Kantusa die Vermutung, daß sich das Programm aus Gründen der Legitimation mit dem Glanz bereits renommierter Kunstproduktionen schmückt.

Im vergangenen Jahr wurde das Gruppenprojekt „Antirassistische Bilderrätsel“ am U–Bahnhof Moritzplatz mit 3.650 Mark gefördert. Derart ermutigt, gingen einige der bis dato unbekannten Künstlerinnen dieses Jahr ein größeres Projekt an: „When tekkno turns to sound of poetry“ in den Kunstwerken wurde mit 12.200 Mark Unterstützung realisiert. Ein wünschenswertes Beispiel: denn solche Hilfen für den künstlerischen Nachwuchs müssen schnell und effektiv sein. Kreativität, Spaß und anarchistische Ideen verblassen nämlich schnell, wenn man sich zu lange (und erfolglos) in diesem Betrieb abmühen mußte.

Anfragen an die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Arbeitsgruppe Kulturelle Aktivitäten von Frauen, Brunnenstraße 188–190. Frau Hofmann, Tel. 28525-441. Frau Vogel-Scheller, Tel. 28525–442.