Press-Schlag
: Ein Tag wundervoller, gelebter Demokratie

■ Schwere Niederlage für den sesselklebenden Samaranch

Wir wissen nicht, wie Juan Antonio Samaranch in Budapest die Nacht vom Donnerstag auf den Freitag verbracht hat. Hat er still in sein Kopfkissen geweint, hat er das Mobiliar seiner luxuriösen Hotelsuite zerschlagen, hat er finstere Mordpläne geschmiedet oder die schlaflosen Stunden eher damit verbracht, sich nach den guten alten Zeiten der Franco-Ära zurückzusehnen, wo man aufmüpfige Leute umstandslos der Garotte überantwortete.

Wahrscheinlich hat der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) selbst nicht recht gewußt, wie er sich nach dem Abstimmungsdebakel des Nachmittags verhalten sollte, schließlich war es die erste schwere Niederlage, die er in seiner 15jährigen Amtszeit erleben mußte. Nur 57 von 88 Delegierten der 104. IOC-Vollversammlung hatten für eine Aufhebung der Altersgrenze von 75 Jahren votiert, die dem 74jährigen Samaranch eine vierte Amtsperiode nach 1997 ermöglichen sollte. Damit war nicht nur die notwendige Zweidrittelmehrheit verfehlt, sondern angesichts der 31 Gegenstimmen gleichzeitig deutlich geworden, daß die Allmacht des katalanischen Granden in der olympischen Bewegung der Vergangenheit angehört.

Samaranch selbst hatte sich 1985 bei jener denkwürdigen Session in Ostberlin, als er dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker den Olympischen Orden anheftete, für die Altersregel starkgemacht, um frischen Wind in das als Greisenverein verspottete IOC zu bringen. Damals ahnte er noch nicht, daß er selbst einst Opfer seiner Initiative werden könnte. Eigentlich wollte er ja nach der Verwirklichung seines Lebenstraums, den Olympischen Spielen in seiner Heimatstadt Barcelona 1992, zurücktreten. Kurz vorher packte ihn jedoch plötzlich der dringende Wunsch, die Hebel der olympischen Macht weiter in der Hand zu behalten. Brav folgte ihm das IOC und wählte ihn 1993 in Monte Carlo als einzigen Kandidaten „per Akklamation“ für weitere vier Jahre.

Doch auch nach Ablauf dieser Zeit ist Samaranch – der dem IOC seit 1980 vorsteht und die damals aufgrund von Boykotts und Finanzdesastern darniederliegende olympische Bewegung in ein prosperierendes Wirtschaftsunternehmen verwandelte – nicht gewillt, sich nur noch seinem Hobby, dem Sammeln von Olympiabriefmarken, zu widmen. Viel zu gern saust er in der Welt herum und fraternisiert mit Staatspräsidenten, Wirtschaftsführern und gekrönten Häuptern. Schon im Frühjahr bereitete Samaranch mit einer Umfrage bei den IOC-Mitgliedern, die offenbar positiv ausfiel, seinen erneuten Ansturm auf die Präsidentschaft vor. Unterstützt wurde er dabei von seinem sogenannten „Clan“, ehrgeizigen Sportfunktionären wie der mexikanische Multimillionär Mario Vazquez Rana, der Italiener Primo Nebiolo oder der Deutsche Thomas Bach, die sich der Gunst des Granden erfreuen können.

Unterschätzt hat Samaranch jedoch möglicherweise die Gegenströmung im IOC. Nicht spurlos sind die Angriffe wegen seiner verwerflichen Vergangenheit, insbesondere den guten Beziehungen zur Familie Franco, vorübergegangen. Noch 1973 hatte er seine „absolute Loyalität“ dem spanischen Diktator gegenüber erklärt, und die englischen Journalisten Simson und Jennings warfen ihm in einem Buch vor, daß der „alte Faschist“ die olympische Bewegung nach einem Modell gestaltet habe, „daß dem Spanien Francos gleicht“. Zuletzt hatte Norwegens Langlaufkönig Vegard Ulvang bei den Olympischen Spielen in Lillehammer 1994 Kritik daran geübt, daß ein „Ex-Faschist“ IOC-Präsident sei: „Das ist schlimm und der Sportbewegung unwürdig.“

Wortführer der jüngeren Generation im IOC ist der 53jährige Kanadier Richard Pound, der nichts dagegen hätte, Samaranch 1997 als Präsident abzulösen. Pound war es auch, der in Budapest den offenen Aufstand probte und sich vehement gegen jede Änderung der Altersregel verwahrte. Entsprechend zufrieden war der Anwalt aus Montreal, als der Vorstoß abgeschmettert wurde: „Es war ein wundervoller Nachmittag gelebter Demokratie.“

Die hat es lange nicht gegeben im IOC, und tatsächlich ist die Sache auch keineswegs ausgestanden. Thomas Bach etwa entpuppte sich als braver Schoßhund seines Herrn, als er sagte: „Es war keine Niederlage für Samaranch, sondern für die Prozedur. Sie war viel zu undurchsichtig.“ Mit anderen Worten: Die IOC-Mitglieder sind zu dumm für eine geheime Abstimmung. Mit der guten alten Akklamation wäre das nicht passiert.

Samaranch selbst, der den Ruch des Tyrannen vermeiden möchte, hatte jedoch auf der geheimen Abstimmung bestanden, die zuerst auch eine satte 62:27-Mehrheit dafür brachte, die Altersregel prinzipiell zu ändern. Der Fauxpas passierte in der zweiten Abstimmung über die Frage, ob eine generelle Abschaffung angestrebt werden sollte oder nur eine Ausnahmeregelung für den Präsidenten. Mit 47:37 wurde für die generelle Abschaffung, also gegen eine reine „Lex Samaranch“ optiert. Die völlige Aufhebung der Altersgrenze wollte aber im Grunde niemand, auch nicht Samaranch, der sie allerdings gern in Kauf genommen hätte. Bei der dritten Abstimmung fehlten dann jedoch zwei Stimmen und alles blieb beim alten.

Vorläufig jedenfalls, denn bis 1997 ist noch eine Menge Zeit. Das erste Votum, so Thomas Bach in vorauseilendem Gehorsam, solle zum Anlaß genommen werden, um in Ruhe über eine Lösung nachzudenken, die eine ausreichende Mehrheit findet. Nächstes Jahr bei der Session in Atlanta soll das Problem erneut behandelt werden. Wenn der so schwer beleidigte Juan Antonio Samaranch dann noch mag. Matti Lieske