■ Sarajevo: Offensive der bosnischen Regierungstruppen
: Aus eigener Kraft

Nur zwei Fragen sind bei den neuesten Aktionen der bosnischen Armee relevant: Sind sie gut genug vorbereitet? Können sie zum Erfolg führen? Daß vieles noch unklar ist, kann als ein Indiz für eine mit Bedacht gewählte Taktik verstanden werden. Man will sich nicht in die Karten schauen lassen. In der Flut widersprüchlicher Mitteilungen – mal wurde eine Generaloffensive angekündigt (Anfang Mai), mal hieß es, die bosnische Armee hätte gar keine Kraft dafür (so General Jovan Divjak, Anfang Juni) – könnte man schon eine Systematik vermuten. Zur taktischen Vorbereitung könnte man die Geländegewinne im Gebirge Treskavica, also am äußeren Belagerungsring (südöstlich), zählen. Doch eines scheint sicher – waffentechnisch sind die serbischen Separatisten um Sarajevo herum wie sonst in Bosnien-Herzegowina mehrfach überlegen. Dem können die Bosnier mit der bloßen Übermacht der Soldaten nicht beikommen, sondern nur durch geeignete Taktik, und diese heißt, zusammen mit den bosnischen Kroaten (HVO) Operationen an allen Froenten.

Einiges spricht dafür, daß dies zum ersten Mal glücken könnte. Da sind zunächst die Fakten, die auf dem Kampffeld geschaffen wurden. So hat sich die HVO von Herzegowina im Süden nach Norden vorgekämpft und kontrolliert nunmehr die Hauptader zwischen den serbischen Hochburgen Knin und Banja Luka. Im gemarterten Bihać erleben die serbischen Einheiten eine Niederlage nach der anderen, trotz ihrer bewährten Praxis, die eingeschlossene Zivilbevölkerung zu morden. Die Großoffensive der Serben an „ihrem Korridor“ bei Brcko kommt, trotz des massiven Einsatzes von schweren Waffen und Kämpfern aus Serbien und Westslawonien, keinen Schritt weiter. (Die bosnischen und kroatischen Serben sind jetzt dabei, in Serbien unter den Flüchtlingen Zwangsmobilisierungen durchzuführen. Sie haben zum einen ihre offensive Kraft verloren und können zum anderen die Schwachstellen ihrer Eroberungen nicht halten).

Den militärischen Aktionen im Norden und Westen des Belagerungsringes um Sarajevo ist die Einigung der bosnischen und kroatischen Befehlshaber zum gemeinsamen Vorgehen vorausgegangen. Das läßt vermuten, daß sie zur gemeinsamen Strategie fanden und die bosnische Seite ihr Konzept der Befreiung von ganz Bosnien fallenlassen hat. Doch mehr als einen schmalen Weg in die Freiheit nach langem Kampf kann Sarajevo leider nicht erwarten. Dunja Melćic