(S)Hell on Earth

■ Unübersichtlicher Konzern mit langem Sündenregister

Berlin (taz) – Die geplante Versenkung der Shell-Ölplattform Brent Spar wäre mitnichten der erste Sündenfall des Ölkonzerns. In Nigeria etwa, wo Shell im Nigerdelta Öl fördert, geht es ungleich schlimmer zu als in der Nordsee. Die Gesellschaft für bedrohte Völker beschuldigt den Konzern, dort maßgeblich für die entschädigungslose Enteignung einer halben Million Angehöriger des Ogoni-Volkes verantwortlich zu sein. Das Land und das Wasser seien inzwischen ölverseucht. Die dortigen Einwohner, soweit nicht tot oder im Knast, sprechen von „(S)Hell on Earth“, der Hölle auf Erden.

Was für ein Konzern steht hinter solchen Machenschaften? Die „Royal Dutch/Shell“-Gruppe ist ein eigentümlicher Doppelkonzern mit unübersichtlichen Strukturen. Zwei Unternehmen, die 1890 gegründete Königlich Niederländische Petroleumgesellschaft (kurz Royal Dutch) und die 1897 ins Leben gerufene Shell Transport and Trading Company, schlossen sich 1907 zusammen. Jede der beiden Firmen behielt aber bis heute ihre Eigenständigkeit. Von allen Unternehmen der Gruppe gehören der Royal Dutch ein 60prozentiger und der Shell ein 40prozentiger Anteil. Der auch in Sachen Brent Spar im Hintergrund bleibende Chef des Ganzen ist der in Den Haag residierende Cornelius Herkströter. Er ist der Vorsitzende des regelmäßig zusammentretenden Vorstandskomitees, in dem die Vorstände von Royal Dutch und von Shell vertreten sind. Dies ist das oberste Entscheidungsorgan des Konzerns.

Firmen wie die Shell UK (Chef: C. E. Fay), die für die Versenkung der Brent Spar verantwortlich ist, und die Deutsche Shell (Chef: Peter Duncan), die jetzt im wahren Sinne des Wortes unter Beschuß gekommen ist, tauchen in der Firmenhierarchie recht weit unten auf: als zwei von über hundert Betriebsgesellschaften in verschiedenen Ländern dieser Welt. Die Nordsee-Bohrinseln und auch die Brent Spar werden von einer Abteilung der Shell UK, der Shell Exploration and Production, betrieben – die Brent Spar übrigens gemeinsam mit Esso.

Das politische Sündenregister der Shell-Gruppe ist nicht kürzer als das ökologische. Das Kapitel Firmengeschichte im „Dritten Reich“ gehört zu den am wenigsten rühmlichen Episoden. Henri August Wilhelm Deterding, später zum Sir geadelt, war der Gründer der Royal Dutch, dann nach dem Zusammenschluß mit Shell oberster Manager des Doppelkonzerns – und fanatischer Antikommunist.

Anfang der dreißiger Jahre soll er mit Millionen-Geschenken der NSDAP auf die Beine geholfen haben. 1936 vermerkte Joseph Goebbels, der Führer „freut sich über die 40 Millionen. 30 Millionen werden eingesetzt zum Bau einer Riesenfabrik für Volkswagen“. Der ausländische Konzern Shell konnte im „Dritten Reich“ nicht nur unbehelligt seine Geschäfte fortsetzen, Deterding wurde von Hitler obendrein aus Dankbarkeit mit einem Gut in Pommern bedacht, wo er 1939 starb. Nicola Liebert