Kompromißsuche

■ Ambivalente Einschätzungen zum Stand der rot-grünen Verhandlungen/ Heikle "Denkmodelle" zu Garzweiler II

Düsseldorf (taz) –„Wir sind ein gutes Stück des Weges vorangekommen und haben bei 80– 90 Prozent der Verhandlungsmasse inzwischen einen Konsens erzielt.“ So bilanzierte gestern der grüne Chefunterhändler Michael Vesper den Stand der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in NRW. Doch die restlichen zehn bis zwanzig Prozent haben es in sich. „Ein großer Dissens“ besteht laut Vesper weiter in sechs Politikbereichen: Flugverkehr, Müllverbrennung, LehrerInneneinstellung, Asylpolitik, Ökoabgaben und bei dem Braunkohltagebau Garzweiler II. Gerd Mai, Garzweiler-Experte der grünen Landtagsfraktion, diagnostizierte hier gar eine „ernsthafte Krise“. Am Freitag übte er sich aber wieder in Optimismus. „Auf beiden Seiten ist der Wille zur Einigung vorhanden“.

Inzwischen beschäftigt sich die Energieverhandlungsgruppe mit den „Denkmodellen“ (Mai), über die niemand öffentlich spricht, weil sie den jeweiligen Parteien einiges abverlangen. Im Zentrum aller Kompromißüberlegungen steht die Frage des künftigen Strombedarfs. Fällt der geringer aus als bei der Genehmigung unterstellt, dann ist Garzweiler II auch laut Genehmigungsurkunde „rückholbar“. Zur Zeit wird 50 Prozent des Stroms in NRW aus Braunkohle erzeugt. Würde Garzweiler II im Jahr 2005 nicht aufgeschlossen, fiele rund 30 Prozent Braunkohle weg. Auf den Gesamtstromverbrauch bezogen entstünde dadurch – den heutigen Verbrauch unterstellt – eine Stromlücke von 15 Prozent. Wie läßt sich diese Lücke schließen? Durch rationelle Energieeinsetzung und Entwicklung von regenerativen Energien, behaupten Grüne und maßgebliche Energiewissenschaftler unisono.

Vollkommener Quatsch, entgegnen Teile der SPD, die Bergbaugewerkschaft IGBE und die RWE-Braunkohletochter Rheinbraun. Ginge es nur um die besseren Argumente, ließe sich diese Frage ganz praktisch klären. Entschlösse sich das neue Kabinett etwa unter Einsatz aller rechtlichen Möglichkeiten, die Energiewende zu versuchen, erledigte sich Garzweiler II von alleine. Sofern die grünen Konzepte den Realitätstest bestünden. Beim Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie hält man einen solchen Weg „vom Prinzip her für gangbar“. Am Anfang des rot-grünen Pakts stünde dann aber nicht das klare Ja oder Nein, sondern der bisherige Genehmigungsbescheid, ergänzt von dem politischen Willen, die Bedingungen für die „Rückholbarkeit“ auch wirklich zu schaffen. Eine schwere Kost für beide Parteien! Walter Jakobs