Rußland bereitet die Erstürmung der Klinik vor

■ Tschetschenische Geiselnehmer lehnen Lösegeld und freies Geleit ab / Fünf weitere Geiseln ermordet / Verteidigungsminister für „gewaltsame Lösung“

Budjonnowsk (AP/AFP/Reuter) – Die tschetschenischen Rebellen, die im Krankenhaus der südrussischen Stadt Budjonnowsk seit drei Tagen mindstens 1.000 Geiseln in ihrer Gewalt halten, haben gestern tagsüber alle Angebote von russischer Seite abgelehnt. Den etwa 50 Männern sei Lösegeld, die Bereitstellung eines Flugzeugs und die Ausreise in einen Ort ihrer Wahl angeboten worden, berichtete der stellvertretende russische Regierungschef Nikolai Jegorow. „Da uns bewußt ist, wie das hier ausgehen kann, sind wir bereit, jede Bedingung zu erfüllen“, sagte er.

Die Geiselnehmer hatten zuvor die Ermordung von fünf weiteren Gefangenen gemeldet, womit sich die Zahl der Toten auf rund 100 erhöhte. Sie verlangen nach wie vor die Einstellung der Kämpfe in Tschetschenien und drohen mit der Sprengung der Klinik.

Rußlands Verteidigungsminister Pawel Gratschow sprach sich gestern für eine „gewaltsame Lösung“ der Geiselnahme aus. Das Innenministerium entsandte die Eliteeinheit Alpha, die im Oktober 1993 am Sturm auf das Parlamentsgebäude in Moskau teilgenommen hatte. Eine Erstürmung des Gebäudes mochte der Chef der russischen Sicherheitsdienste, Sergei Stepaschin, ausdrücklich nicht ausschließen. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Blutvergießen zu vermeiden“, wich er den Fragen der Journalisten gestern aus.

Nach Angaben der Ärzte des Krankenhauses, in dem weiterhin medizinisches Personal, Patienten und Passanten von den Rebellen in Schach gehalten wurden, wurden 36 Menschen bei der Besetzung des Geländes am Mittwoch und acht weitere später umgebracht. 51 Personen seien bei Gefechten an anderen Stellen der rund 150 Kilometer nördlich der tschetschenischen Grenze gelegenen Stadt getötet worden, hieß es. Die Rebellen ließen zwar inzwischen einige Patientinnen frei. Die Forderung, wenigstens alle Kinder gehen zu lassen, lehnten sie aber ab.

Der russische Präsident Boris Jelzin flog gestern trotz des Geiseldramas nach Halifax, um an den politischen Beratungen des Weltwirtschaftsgipfels teilzunehmen. Vor seiner Abreise aus Moskau ließ Jelzin erklären, er werde die weltweite Bekämpfung des Terrorismus zu einem Thema der Gespräche mit den Staats- und Regierungschefs machen.

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