Dortmund verdient, daß es verdient!

Am „schönsten Tag“ im Leben Andreas Möllers wird das Gute belohnt, werden die Begriffe „eine ganze Region“ und „nach 32 Jahren“ überstrapaziert und gilt Dank den Bremern, daß sie „es spannend“ machten, doch nicht Meister geworden sind:

Liebe Borussen,

es ist sehr schön bei Euch in Dortmund, seit Ihr deutscher Meister geworden seid. Und wahrscheinlich freuen sich außer in einer Stadt im Norden der Republik und einer Ortschaft westlich von Wanne- Eickel auch alle mit Euch. Ihr hattet das Fest wirklich prima vorbereitet. Schon an der Autobahnbrücke in der Nähe von Leverkusen gab es das erste Hinweisschild: „BVB – Die Legende wird Meister“. Im ganzen Dortmunder Stadtgebiet hattet Ihr Euch einheitlich mit schwarz-gelben Accessoires ausstaffiert. Selbst wenn es nur zum Platz vor der Leinwand am Rathaus ging, weil Ihr keine Karte fürs Spiel mehr bekommen hattet. Das sah wirklich aus wie beim Karneval, und das Wetter war ja auch wie im Februar.

Besonders gut gefallen hat es mir aber im Stadion. Diese Aufregung. Diese Stimmung. Und dabei war alles immer politisch korrekt. Selbst angesichts der Hoffnung auf die erste Meisterschaft seit 32 Jahren hattet Ihr nicht vergessen, das Transparent „BVB-Fans für Shell- Boykott“ aufzuhängen. Wirklich klasse! Daß Ihr schon nach acht Minuten nicht mehr zu halten gewesen seid, als Andreas Möller den Freistoß wunderbar um die Mauer ins Tor schoß, verstehe ich sehr gut. Richtig lustig waren auch Eure kleinen Jubelpulks, die zwischendurch immer vermeintliche Tore der Bayern gefeiert haben, worauf dann gleich das halbe Stadion die Arme hochriß.

Die Uerdinger werden sich wahrscheinlich auch wundern, wenn sie hören, daß ihr 2:0-Zwischenstand gegen Gladbach im Westfalenstadion für Ekstasen der Begeisterung sorgte. Und das, weil alle zuerst nur das 2:0 sahen, Bayern dachten und erst Bayer erkannten, als sie schon losgeschrien hatten. Ihr seid wirklich ganz schön durch den Wind gewesen. Daß Ihr dann Klarheit haben wolltet und gerufen habt, „wie steht's in München?“, kann ich gut verstehen. Ein Segen, daß Stefan Reuter vor der Pause noch das 2:0 geschossen hatte, sonst wärt Ihr in der zweiten Halbzeit ja schon am Rand des Wahnsinns gekickt. Sie waren offensichtlich um jede Sekunde froh, die vorbeiging. Gut, daß wo HSV draufsteht, im Moment nur HSV light drin ist.

Aber was sollen wir hier groß über das Spiel reden, am schönsten war es natürlich nach dem Abpfiff. Ein Mädchen taumelte an mir vorbei und rief: „Das ist einfach galaktisch!“ Und recht hatte sie. Ruck, zuck waren Tausende von Euch auf dem Rasen. Ottmar Hitzfeld, der Beherrschte, hat sogar geweint. Auch Präsident Niebaum hatte Tränen in den Augen, und sah überhaupt aus, als würde er gerade seinen siebten Geburtstag feiern. Es war überhaupt die Stunde der vollgeheulten Taschentücher. Vor allem als das Lied „Leuchte auf, mein Stern Borussia“ gespielt wurde.

Allerdings, das muß ich mal kurz einwenden, müßt Ihr bei weiteren Feiern etwas besser auf die Spieler aufpassen, denn sonst gehen die kaputt. In dem Gedrängel, das Ihr da veranstaltet habt, sind die ja fast zerquetscht worden. Der Andy und der Stefan haben richtig geschrieen. Sogar die Bodyguards konnten fast nichts mehr ausrichten.

Aber es soll nicht der Eindruck aufkommen, daß Ihr sentimentale Heulsusen seid, die nebenbei ein infernalisches Durcheinander anrichten. Ihr habt ja relativ schnell zu Eurem westfälischen Humor zurückgefunden. Gerade im Presseraum, wo es zwar keine Konferenz gab, sich derweil aber die örtlichen Pressevertreter in den Armen lagen, und am Ende einer feixend zu dem Schluß kam: „Jetzt können wir die Schalker auch wieder hassen.“ Sehr nett war auch die Gruppe begeistert feiernder Fans an der Möllerbrücke, unweit des Stadions, die unaufhörlich riefen: „Möller-Brücke, Möller-Brücke, hey, hey!“ Und ein weiteres Beispiel für die integrative Kraft Eurer Borussia gab es einige Schritte weiter an einem Waschsalon, aus dessen Tür ein verdutzter Schwarzer in den Jubel heraustrat. Ein Borusse blieb schwankend vor ihm stehen, riß jubelnd die Arme hoch und rief dem darüber noch verblüffteren Schwarzen beglückt ein langgezogenes „Julio Cesar“ entgegen.

Dann habt Ihr auf dem Weg zum Rathausplatz toll die Jungfernfahrt der neuen Straßenbahn bejubelt, auf der vom „Deutschen Meister 1995“ zu lesen war, und dann die Grünanlagen ums Rathaus in eine woodstockartige Schlammlandschaft verwandelt. Und immer und überall habt Ihr dabei mit großem Elan an der Prosperität Eurer Stadt gearbeitet und kräftig die lokalen Brauereien unterstützt.

Wenn Ihr heute nun auf Euren Rollmöpsen herumkaut, das fünfte Alka-Seltzer heruntergespült habt, könnt Ihr dann bitte wieder normal werden. Ich meine, es wäre doch schön, wenn Borussia Dortmund wieder Borussia Dortmund werden könnte.

Jetzt wo Ihr endlich den Titel habt, muß Euer Manager doch nicht mehr mit der Geldkarre durch die Gegend fahren, um Transferrekorde zu brechen. Dann könnt Ihr Eurem Ausrüster mal den Kopf waschen, damit die Trikots nicht mehr wie Leuchtstifte aussehen, sondern schwarz-gelb. Und den auswärtigen Fans in Eurem Stadion könnt Ihr vielleicht mal wieder Stehplätze anbieten und nicht wegelagerische 50 Mark für den blöden Schalensitz abknöpfen. Wenn Ihr Euch nämlich noch mehr wie Bayern München benehmt, tja, dann müßt Ihr zur Strafe 32 Jahre auf die nächste Meisterschaft warten.

Christoph Biermann

Am Ende haben sie Hany Ramzy von seinem Arbeitsplatz abtransportieren müssen, stützenderweise. Und dabei verbarg der Libero des SV Werder Bremen den Kopf so tief in den prankenhaften Händen, daß die Vermutung nahe lag, er hätte in der Medien-Meute vielleicht eine Kamera vor den Schädel bekommen. Aber es war ein anderer Schmerz, den der ägyptische Schönling erlitt, und so ähnlich hatte man sich das ja auch vorgestellt nach verlorener Meisterschaft: Ein wie Fels erstarrter Mario Basler, heulende hanseatische Berufsballtreter und Fans, die von verschiedenen Isarbrücken hinfortgezerrt werden müssen ...

Mitnichten. Nach der 1:3-Niederlage beim FC Bayern suchten die Bremer Fußballfreunde statt dessen Zuflucht in Dosenbier oder allerlei mirakulösen Erklärungen, wie etwa jener des Übungsleiters Otto Rehhagel, der beklagte, daß die laue Witterung am Alpenrand seiner Mannschaft nun überhaupt nicht zupaß gekommen sei. Sommerliche Temperaturen wider Körper und Geist? „Da werden die Beine immer schwerer, und im Kopf geht's auch nicht“, sagte Basler, von dem es heißt, bis zum Hals sei er Weltklasse, darüber Kreisliga. Daß er seinen Spitznamen einer Comicfigur verdankt, gewann letztlich gar eine gewisse symbolische Bedeutung. Mit seiner medienwirksamen Selbstverliebtheit der vergangenen Wochen hatte er sich beinahe in eine metaphysische Position erhoben, aber im entscheidenden Moment fehlte jene gottgleiche Gabe, die er anscheinend zu besitzen glaubte.

Doch unmittelbar nach dem Schlußpfiff im Münchner Olympiastadion wurde die kickende Weichleiste von erdverbundener Selbsterkenntnis durchdrungen. „Vielleicht“, sagte Basler, „habe ich wirklich ein zu großes Mundwerk gehabt.“ Auf seinen Part als Hauptdarsteller im saisonfinalen Drama hatte er sich nicht ausreichend eingestellt. Er hätte, statt mit seinen Flanken den mittleren Ring anzupeilen, die gewohnt emotionslos robotierenden Kollegen antreiben müssen. Aber der SV Werder ergab sich sklavenhaft seinem Schicksal, und anschließend war auch der sonst so eloquente Fußball-Weise Otto Rehhagel ratlos. Seinen Eleven fehlte jener existentielle Antrieb, der Borussia Dortmund vorwöchentlich in Duisburg zum Sieg führte.

Am Schluß wußte niemand so recht, wie das alles geschehen konnte, warum der FC Bayern, der die gesamte Saison munter dilettiert hatte, plötzlich zeigt, „daß wir auch Fußball spielen können“ (Manager Uli Hoeneß). Das Spiel wirkte wie ein Film, der mit überhöhter Geschwindigkeit abgespult wurde und an Bremen unbemerkt vorbeiflimmerte. Später sprach Andreas Herzog davon, daß man doch auch stolz sein könne auf diese Saison, „wir haben eine Super-Rückrunde gespielt“. Aber würde ähnliches ein Marathonläufer sagen, der nach 40 Kilometern so schwere Beine bekommt, daß er keinen Schritt mehr schafft?

Otto Rehhagel hat gesagt, er brauche zwei bis drei Wochen, um den Frust zu verarbeiten. Das Ballpersonal aber, so schien es, hat sich noch am Ort der Niederlage selbst therapiert. Die vielen TV-Reporter, die auf der Suche nach der Tragödie den Rasen belagerten, wurden schließlich ebenso wenig bedient wie die zahlende Kundschaft auf den Tribünen: Weder Jammern, noch Zetern, kein Aufbegehren, keine sportliche Opferbereitschaft. Werder Bremen ist in der Leidenschaftslosigkeit ersoffen. „Nach dem 1:3“, sagte Andreas Herzog, „haben wir gewußt, daß es vorbei ist.“ Ein Gedanke, der die Hanseaten auch schon vorher fast gelähmt hat.

Oder hatten sie wirklich geglaubt, der FC Bayern würde den braven Punktelieferanten abgeben? Sich degradieren lassen vom Titelverteidiger zum Statisten? Der deutsche Rekordmeister wollte sich mit sich selbst versöhnen und mit 63.000 Leuten, von denen eigentlich kaum einer weiß, was sie zuletzt überhaupt noch ins olympische Oval getrieben hat. In einer Saison, die zuwider allen sportlichen Erwartungen verlief, hat der FC Ruhmreich einen neuen Zuschauerrekord erreicht. Ähnliche Treue wird auch demnächst zu erwarten sein, wenn das neue Personal seinen Dienst beginnt an der Säbener Straße. Der künftige Trainer Rehhagel hat am Samstag gesagt: „Nur wer den Fußball wirklich kennt, weiß, wie ich leide.“ Und wenn am kommenden Wochenende Mönchengladbach das Pokalfinale verliert, wird jeder wissen, was Rehhagel wirklich meinte. Markus Götting