Forsch schreiten die Genossen voran

Alles scheint in NRW lösbar: Verkehrs-, Schul- und Umweltpolitik, nur die Kohle bleibt ein heikles Thema / In einer Woche reichen die Roten und die Grünen sich die Hand  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Eine künftige rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf wird dafür sorgen, daß in Nordrhein- Westfalen keine neuen Hausmüllverbrennungsanlagen gebaut oder geplant werden. Darauf haben sich beide Verhandlungsdelegationen am Wochenende verständigt.

Selbst beim Thema Sondermüll scheint eine Einigung möglich. Hier wird es aller Voraussicht nach die von den Grünen geforderte Sondermüllabgabe nicht geben. Statt dessen soll das bestehende Lizenzsystem über eine Gebührenerhöhung so verändert werden, daß sich die beabsichtigten Lenkungseffekte auch ohne Sonderabgabe einstellen. Über „akzeptable Kompromisse auf breiter Front“ freuen sich inzwischen die Grünen.

Während das konfliktträchtige Müllthema vom Tisch ist, steht eine Einigung bei der politisch brisanten Kohlepolitik weiter aus. In Kleinstgruppen wird in dieser Woche darüber ein Konsens gesucht. Ein Scheitern der Verhandlungen halten inzwischen auch führende SPD-Politiker für „eher unwahrscheinlich“. „Vorsichtig optimistisch“, äußerte sich gestern die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Gabriele Behler gegenüber der taz. Es seien zwar noch erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, aber „letztlich scheinen mir alle verbliebenen Probleme nicht unlösbar zu sein“.

Auflagenstarke Regionalblätter versuchen die große Koalition herbeizuschreiben, aber außer den Gewerkschaftsführern Hans Berger (IGBE) und Hermann Rappe (IG Chemie) wagt kein maßgeblicher SPD-Politiker dafür öffentlich zu trommeln. Erst am Samstag durfte Rappe in der WAZ erneut die „Blockade der Forschung und Gentechnik“ und die von den Grünen geforderte „Abkehr von der Chlorchemie“ als unakzeptabel geißeln. Doch Rappe offenbarte nur seine eigene Uninformiertheit. Der Dissens bei der Gentechnik besteht zwar fort, aber in bezug auf die Chlorchemie ist ein Formelkompromiß längst gefunden. Eine rot-grüne Landesregierung würde sich die Forderung der Enquetekommission des Deutschen Bundestages „nach einer partiellen Konversion der Chlorchemie“ zu eigen machen, sofern ökologische Ziele dies erfordern und die Konversion wirtschaftlich und sozial vertretbar zu gestalten ist.

Den Konsens findet die Kleinstgruppe

Auch in der Bildungspolitik sind die entscheidenden Barrieren – abgesehen von der Zahl der einzustellenden GrundschullehrerInnen – inzwischen weggeräumt. Über die Einrichtung der von der grünen Bildungssprecherin Brigitte Schumann im Verein mit der GEW geforderten Oberstufenzentren wird jetzt nicht entschieden. Hier sieht der Konsens vor, daß die neue Regierung über alle Fragen der Schulstruktur erst nach Vorlage eines Bildungsberichtes beschließt, den eine von Johannes Rau vor drei Jahren einberufe Kommission von unabhängigen Experten im September vorlegen will. Dieser Ausweg kommt auch vielen Grünen in der Verhandlungskommission und in der Partei gerade recht, weil er ihnen erspart, ihrer eigenen Sprecherin in die Parade zu fahren: Denn mehr noch als die herrschende Schulpolitik fürchten viele Grüne eine Bildungspolitik à la Schumann, die am liebsten alle Kids in Einheitsgesamtschulen unterrichtet sähe.

Tragfähige Kompromisse, die alle einigen

Weitgehend einig ist man sich beim Thema Straßenbau. Tragfähige Kompromisse deuten sich auch bei der Luftverkehrspolitik – Regionalflughäfen – an. Letztendlich kann Rot-Grün in Düsseldorf wohl nur noch am Braunkohletagebau-Projekt Garzweiler II scheitern. Doch auch hier ist eine rationale Lösung in Sicht – jenseits von Ja oder Nein. Voraussetzung dafür wäre, daß beide Parteien ihren eigenen Verlautbarungen trauten. So müßte die SPD die in der Genehmigungsurkunde vorgesehene Rückholbarkeit des Garzweiler- Beschlusses bei geringerem Strombedarf wirklich ernst nehmen und von allen Garzweiler präjudizierenden Entscheidungen vorerst Abstand nehmen.

Und die Grünen? Ihnen obläge es zu beweisen, daß ihre Alternativen ziehen. Wenn den Strom, den die Garzweiler-Kohle liefern soll, niemand braucht, braucht niemand Garzweiler II. Ohne den Mut zu diesem wichtigen Praxistest ist Rot-Grün nicht zu haben!