„Die Wege sind endlos lang“

Im Dschungel des Landesschulamtes: ein halbes Jahr nach der Gründung häuft sich die Kritik an der Zentralbehörde / Schulleiter fühlen sich alleingelassen und ohne Planungssicherheit  ■ Von Michaela Eck

Es gab nichts mehr umzuschichten, die Kapazitäten waren erschöpft, das Loch konnte nicht gestopft werden: Schon seit Wochen fällt in einer siebten, achten und neunten Klasse einer Schöneberger Hauptschule der Englisch-Unterricht aus. Achim Stolle, Schulleiter der Schöneberger Riesengebirgs-Oberschule ist deshalb stinksauer. Rechtzeitig sei klar gewesen, daß die Englischlehrerin Ende März in Schwangerschaftsurlaub gehe. Anfang März habe er über die bezirkliche Außenstelle des Landesschulamtes (LSA) eine Vertretung angefordert. Vom Landesschulamt in der Storkower Straße im Prenzlauer Berg hat er seitdem nichts mehr gehört. „Zwischen dem Landesschulamt und der Schule wird einfach nicht kommuniziert“, sagt der Schulleiter resigniert. Lediglich sein Schulrat von der Schöneberger Außenstelle habe ihm mitgeteilt, er habe den Vertretungswunsch an die Zentrale weitergeleitet – mehr könne er nicht machen.

Die Hoffnung beim großen „Lehrer-Versetzungs-Karusell“ von Ost nach West doch noch eine(n) EnglischlehrerIn abzukommen, hat er aufgegeben. Auf der Transferliste stünden LehrerInnen mit Fächern wie Erdkunde, Arbeitslehre oder Russisch. Stolle hat deshalb für das nächste Schuljahr das Problem schulintern gelöst. Eine Lehrerin sei bereit, statt Deutsch künftig Englisch zu unterrichten. Damit wird freilich ein anderes Loch gerissen.

Seit knapp einem halben Jahr werden in Berlin alle Schulen zentral organisiert. Das Landesschulamt „verwaltet“ mit rund 650 MitarbeiterInnen etwa 44.000 Beschäftigte, davon 33.000 LehrerInnen. Das Amt ist zuständig für Einstellungen, Vertretungen, Fristverträge oder Versetzung von LehrerInnen und hat die Schulaufsicht über sämtliche Schularten von der Hauptschule bis zu den Berufsschulen: ein Schulverwaltungskonzern, der in dieser Größe in der Bundesrepublik einmalig ist.

Daß bei hunderten von Schulen ein enormer Reibungsverlust entsteht und es ab und an auch kräftig qualmt, liegt auf der Hand. „Die Wege sind endlos“, kritisiert Ellen Hansen, Schulleiterin der Werbellinsee-Grundschule, die Trägheit der Behörde. Nehmen wir ein Beispiel: Der Antrag für einen Vertretungslehrer geht vom Schulleiter der Schule zum Schulrat der bezirklichen Außenstelle. Von dort wird er dann weitergereicht an die entsprechende Schulaufsichts-Abteilung in der Storkower Straße. Dort wird der Antrag dann wiederum geprüft und abgezeichnet und wandert weiter zur alles entscheidenden Personalstelle. Hier fällt dann die Entscheidung, ob der Vertretungslehrer eingestellt werden kann oder nicht. Entschieden werde letztlich nur noch verwaltungstechnisch und nicht mehr pädagogisch, beklagen die Kritiker der Behörde.

Um nicht ganz auf die Bürgernähe zu verzichten, hatte sich die CDU im vergangenen Jahr mit der SPD auf den Kompromiß geeinigt: In allen 23 Bezirken werden Außenstellen des Landesschulamtes eingerichtet. Jeder Schulrat in den Außenstellen betreut eine Schulart, sprich Grund-, Haupt-, Real-, Gesamtschulen oder Gymnasien. In der Storkower Straße aber sitzt der Chef der jeweiligen Schulaufsichtsabteilung. Über Unterabteilungen wacht der Chef des Landesschulamtes, Winfried Seiring.

Ein Kraftakt der besonderen Art ist zur Zeit die vom Landesschulamt anvisierte Umsetzung von rund 285 auf der Überhangliste stehenden Ost-Lehrer und -Lehrerinnen in die West-Bezirke. Vor allem die Schulräte in den östlichen Außenstellen des Landesschulamtes laufen zur Zeit Sturm gegen die Anordungen ihrer Mutterbehörde. „Wir haben hier im Osten real nichts abzugeben“, wettern selbst die Schulräte, die in den Bezirken vor Ort ihren Dienst tun.

An den Schulen der östlichen Bezirke herrscht helle Aufregung: Allein Friedrichshain soll 59 LehrerInnen abgeben, hat aber selbst Einstellungsbedarf. Lichtenberg und Mitte sollen jeweils 41 Lehrer abgeben. Nach Berechnungen des Bezirks sind in Lichtenberg jedoch nicht mehr als 20 Lehrer im Überhang. Hier wurde vom Landesschulamt nicht bedacht, daß künftig 230 Schüler und Schülerinnen aus Hellersdorf in Lichtenberg zur Schule gehen werden.

Überhänge müßten abgebaut werden, aber bitte mit Sachverstand und nicht mit brachialer Gewalt, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das Vorgehen des Landesschulamtes. Das Amt rechne zudem mit falschen Zahlen. Das seien die üblichen Umstellungsschwierigkeiten, kontert Landesschulamtssprecher Andreas Moegelin und verspricht Abhilfe: Jetzt lägen die Listen mit den konkreten Lehrkräften vor. Man werde sehr genau prüfen, ob eine Umsetzung pädagogisch zu vertreten sei.

Derzeit muß das nächste Schuljahr vorbreitet werden. „Bis heute weiß ich nicht, ob ich die Lehrer bekomme, die ich brauche“, wettert Rolf Schippel, Schulleiter der Uckermark-Grundschule. Erst müsse der Ost-West-Transfer abgeschlossen sein, kontert das Landesschulamt. Anschließend könnten die Lehrer mit befristeten Verträgen vom Westen in den Osten. Erst dann sei klar, welche Schule welche Lehrer bekommt.

Das kann Direktor Schippel nicht zufriedenstellen. „Wir stehen in den Startlöchern und wollen mit der Unterrichtsplanung beginnen, doch nichts bewegt sich.“ Zwei Wochen vor Schuljahresende sei immer noch nicht entschieden, ob für die erste Klasse eine Lehrerin eingestellt werden kann oder nicht. Ebenso offen sei, ob das Theaterprojekt in der vierten Klasse weitergeführt werden kann, daß von einer Kollegin mit befristetem Vertrag aufgebaut wurde und die nun nach Ostberlin versetzt werden soll, kritisiert Ellen Hansen, Schulleiterin der Schöneberger Werbellinsee-Grundschule.

„Ich laufe mit meiner Planung ins Leere. Ich kann nichts tun, muß warten und aufpassen, daß nicht alles über mir zusammenstürzt. Ich bin nur damit beschäftigt zu organisieren, um die größten Katastrophen abzuwenden.“ „Wir warten nur darauf, bis uns die Eltern hier die Bude anzünden“, so das drastische Resümee eines anderen Schulleiters.

Auch in den vergangenen Jahren sei diese Zeit kurz vor Ende des Schuljahres immer sehr stressig gewesen, bekennen die SchulleiterInnen. Doch niemals sei dies dem gegenwärtigen „Tollhaus“ gleichgekommen. Niemand wisse, wer für was zuständig sei, kritisieren einzelne Schulleiter die Landesschulamtspolitik.

Das Konstrukt Landesschulamt kranke daran, daß trotz der Außenstellen Entscheidungen allein die Zentrale treffe, kritisiert Sybille Volkholz, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Parlament. Sämtliche Personalakten und Stellenpläne, die früher in den Bezirksämtern lagen, sind jetzt in der Storkower Straße gestapelt. Die Außenstellenleiter hätten null Entscheidungsmöglichkeiten. Dies könne einfach nicht funktionieren. Ihre Konseqenz bei einer rot-grünen Koalition ist klar: „Dann werden wir das vermaledeite Amt wieder abschaffen.“