Short Stories from America
: Herzerfrischende Dummheit

■ Nichts ist bedenklicher als ein blöder Verbrecher. Nicht mal die Regierung

Ich bin enttäuscht von meinen Landsleuten. Auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe – die Dummheiten (ich finde kein höflicheres Wort), die sie in letzter Zeit absondern, sind einfach unerträglich. Ich meine nicht die Art Dummheit, die die New York Times zu einem Artikel mit dem Titel: „Dummköpfe begegnen der Technologie“ bewog. Die Times machte sich Sorgen über Dinge wie den McCarthyismus, Jerry-Lewis-Filme und den neuen Kinohit „Dumm und dümmer“. Das beunruhigt mich alles nicht. Das sind doch nur Belege für die große Tradition des amerikanischen Antiintellektualismus. Die Times schrieb: „Keine Demokratie mag es, wenn ihr eine Aristokratie des Geistes verkündet, wie sie sich zu benehmen hat“, und ich bin nun einmal eine Anhängerin der Demokratie.

Genauso wenig beunruhigen mich irgendwelche akademischen Unzulänglichkeiten. Nach einer neuen Gallup-Umfrage wissen 60 Prozent der Amerikaner nicht, welcher Präsident die Atombombe über Japan abwerfen ließ. 35 Prozent wußten nicht, daß sie auf Hiroshima abgeworfen wurde, 25 Prozent nicht, daß sie gegen Japan eingesetzt wurde, und 22 Prozent wußten überhaupt nichts vom ersten Atomschlag; 2 Prozent hielten Kennedy für den ersten, der Atombomben einsetzte; und 1 Prozent glaubte, Nixon sei es gewesen. Das stört mich alles überhaupt nicht, weil Amerika schließlich ein praktisch gesinntes Land ist, dem das Basteln und Erfinden besser liegt als das Philosophieren.

Viele Amerikaner machen sich Sorgen über die mathematischen Fähigkeiten unseres gegenwärtigen Kongresses. Aber selbst wenn der Kongreß recht eigenartige Rechenkünste an den Tag legt, finde ich das auch noch nicht so schrecklich. Die Republikaner schlagen zum Beispiel vor, den Etat zu kürzen, das Defizit zu verringern und außerdem noch die Steuern zu senken. Die nationale Schuld der USA in Höhe von 4,7 Billionen Dollar wächst jährlich um 200 Milliarden Dollar – das sind 38.158 Dollar alle vier Sekunden. Der vorgeschlagene Etat soll die Regierungsausgaben für Sozialleistungen bis zum Jahr 2002 um 1,5 Billionen Dollar senken, aber 380 Milliarden Dollar dieser Ausgabenkürzungen gehen für Steuersenkungen drauf, die Firmen und den höchsten Einkommensgruppen zuteil werden. Das Finanzministerium schätzt, daß jeder Rentner zum Beispiel jährlich 1.300 Dollar mehr für Ärzte und Versicherungen aufbringen muß, während das eine Prozent der Höchstverdienenden – mit einem Jahreseinkommen von 350.000 Dollar und darüber – einen jährlichen Steuernachlaß von 20.352 Dollar erhält. Und das in einem Land, das ohnehin schon die größten Einkommensunterschiede zwischen den reichsten und den ärmsten Bürgern aufweist. Das oberste Prozent der amerikanischen Haushalte (jeder mit einem Mindestvermögen von 2,3 Millionen Dollar netto) besitzt 40 Prozent des nationalen Reichtums, gegenüber 18 Prozent, die das oberste Prozent in Großbritannien hält. US-Familien mit hohem Einkommen verdienen viermal mehr als Familien mit geringem Einkommen (und diese Kluft verbreitert sich), während die entsprechende Zahl in Deutschland nur 2,5 beträgt – mit sinkender Tendenz. US-Topmanager verdienen 25mal mehr als ihre Arbeiter, japanische Topmanager zehnmal soviel.

Dennoch steht der Meute der 350.000-Dollar-und-mehr- Leute in den USA ein Steuernachlaß ins Haus, der das jährliche Steueraufkommen um 380 Milliarden Dollar mindert. Also müssen die Regierungsprogramme um 380 Milliarden gekürzt werden. Wie mir mein Neffe Noah, fünf Jahre alt, erklärte: „Wenn man weniger kriegt, hat man weniger.“ Manche Amerikaner haben das Gefühl, daß das dem Kongreß nicht so ganz klar ist.

Manche Amerikaner – nicht viele – sind auch besorgt, die vorgesehenen Kürzungen würden die Regierungsprogramme für das Schulwesen, die Berufsausbildung und Programme zur Drogenbekämpfung in den Schulen beeinträchtigen. Tatsächlich bedeutet das vorgelegte Budget praktisch das Ende für das Bildungsministerium und die nationale Wissenschaftsstiftung, die zusammen mit anderen Regierungsstellen 57 Prozent aller wissenschaftlichen Forschung an den Universitäten finanzieren. Ein paar Amerikaner machen sich auch Gedanken über unvermeidliche Schäden für unser Universitätssystem. Andere, nicht viele, geben zu bedenken, daß ein Kind in der Schule billiger kommt als im Gefängnis – 25.000 Dollar jährlich für Harvard, 60.000 Dollar jährlich für einen Gefängnisplatz im Staat New York. Aber sie bezweifeln, ob Washington die Differenz zwischen 25.000 und 60.000 erkennt.

Trotzdem, viele sind es nicht, die sich darüber Sorgen machen – vielleicht aufgrund unserer herzerfrischend antiintellektuellen Traditionen. Ich gehöre auch nicht dazu. Traditionen sind wichtig für den nationalen Zusammenhalt und für das allgemeine Wohlbefinden. Ich mache mir auch keine Sorgen wegen des tragischen Bombenattentats von Oklahoma, das viele Amerikaner entsetzt hat. Denn die Gewalt gehört, genau wie der Antiintellektualismus, nun einmal zur amerikanischen Lebensweise. Diese Tradition verschaffte Amerikas Landwirtschaft Millionen Sklaven, räumte die Indianer aus dem Weg, erschloß die Grenze, baute Eisenbahnen und Bergwerke und machte unser Land groß.

Sorgen macht mir aber die Qualität des Bombenanschlags von Oklahoma. Da sprengen die ein Gebäude und bringen Hunderte ums Leben, und Timothy McVeigh wird Stunden später wegen einer Verkehrsübertretung festgenommen. Er hatte vergessen, ein Nummernschild an seinen Fluchtwagen zu schrauben. Ein amerikanischer Jugendlicher weiß meinetwegen überhaupt nichts über Geschichte – daß einen die Polizei wegen fehlender Nummernschilder anhält, das weiß er. Aber McVeigh vergaß es.

Kann man sich vorstellen, daß Baader-Meinhof ein Nummernschild vergessen hätten? Al Capone und sämtliche Corleones wurden niemals wegen Verkehrsübertretungen festgenommen, genausowenig die IRA oder die PLO oder Hamas. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß irgendein Tong aus Hongkong seine Nummernschilder verloren hätte, oder eine der vielen Mafias, die die russische Wirtschaft übernommen haben. Das allein erfüllt mich mit Sorge: Die USA sind zu blöd, um einen guten Verbrecher hervorzubringen.

Apropos Verbrecher. Die US- Post hat eine Gedächtnismarke für Richard Nixon herausgebracht. Das beunruhigt mich. Irgend jemand in der Regierung muß geglaubt haben, diesem Gesicht eigne irgendein Reiz. Jetzt fehlt nur noch, daß diese Marken sich verkaufen. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning