■ Das Portrait
: Opfer des Krieges

Natalja Aljakina wurde erschossen Foto: AP

Seit ein paar Wochen wollten wir uns zum Essen treffen. Zuerst hatte ich meine Kollegin Natalja Aljakina (40) und ihren Mann, Gisbert Mrozek, eingeladen, aber sie mußten in die Erdbebenzone nach Sachalin fahren. Dann verreiste ich selbst, und so faßten wir das Essen konkret für diese Woche ins Auge. Wir wußten nicht, daß wir es damit auf ewig verschoben.

Die zierliche blonde Natascha traf eine Kugel durch das Hinterfenster ihres Wagens ins Genick, nachdem sie und Gisbert eine russische Patrouille auf dem Weg nach Budjonnowsk bereits passiert hatten. Dort wollten sie über die Geiselnahme der tschetschenischen Rebellen berichten. „Sie haben mich umgebracht, ich sterbe“, konnte sie nur noch sagen. Der Posten-Kommandeur kam dem Auto aufgeregt hinterhergelaufen und redete etwas von einem Versehen.

Sowie sie sofort die absurde Wahrheit ihres eigenen Sterbens erfaßte, so hatte sich Natascha auch in der Politik kein X für ein U vormachen lassen. „Sie ist unheimlich klug“, das war die häufigste Charakterisierung. Sie kannte die Vergangenheit und die finanziellen Interessen der meisten Politiker und war auch in den hoffnungsträchtigen Zeiten auf dem Höhepunkt der Demokratiebewegung wenig empfänglich für schöne Worte.

Als ich Natascha und Gisbert 1990 kennenlernte, waren sie dabei, die RUFA in Moskau aufzubauen. Es ist nicht zuletzt Natascha zu verdanken, wenn diese Rundfunkagentur heute von den russischen offiziellen Stellen besonders ernst genommen wird. In den ersten Jahren opferten Natascha und Gisbert nicht nur den Urlaub, sondern auch den Schlaf. Erst seit einiger Zeit konnten sich die beiden manchmal ein bißchen Zeit für sich selbst nehmen – sogar zum Heiraten, so ganz nebenbei, als sie sich vor zwei Monaten eine Reise nach Las Vegas gönnten. Hinzu kam ihre Freude an Festen. Die RUFA-Parties gehörten zu den besten Moskaus. An solchen Abenden gestand Natascha wehmütig, daß sie gern ein bißchen mehr „leben“ würde.

Natascha verwirklichte den Traum von einem Ort in dieser Welt, den sie mit keinerlei fremden Wohnungsnachbarn zu teilen brauchte. Sie baute mit Gisbert ein Haus in den grünen Waldai- Hügeln zwischen Moskau und Sankt Petersburg. „Vielleicht werde ich dort einmal ganze Monate zubringen können“, schwärmte sie in letzter Zeit. Natalja Aljakina hinterläßt außer ihrem Mann einen erwachsenen Sohn. Barbara Kerneck