Aufrüstung im Nordatlantik

Neun Schiffe begleiten die besetzte Ölplattform Brent Spar / Politischer Druck in Großbritannien wächst  ■ Von Hans-Jürgen Marter und Harald Neckelmann

Shetlandinseln/Den Haag (taz)

Die Vorbereitungen zu einem High-noon im Nordatlantik sind in vollem Gange. Nachdem der Shell- Konzern im Anschluß an die geglückte Wiederbesetzung der Brent-Spar-Ölinstallation durch Greenpeace-Aktivisten ein weiterer Versorgungsschiff entstandt hatte, verließ gestern Mittag das Greenpeace-Schiff „MS Solo“ den Hafen von Stornoway auf den Äußeren Hebriden. An Bord befindet sich die internationale Medienriege in Erwartung der ultimativen Konfrontation. Damit besteht die Prozession, die voraussichtlich am Mittwoch ihr Ziel erreichen wird, aus neun Schiffen: zwei Schlepper, vier Shell-Versorgungsschiffe, das Fischereischutzboot „HMS Orkney“, einem dänischen Küstenwachboot und den beiden Greenpeace-Schiffen „Altair“ und „Solo“.

Energieminister Tim Eggar, in dessen Hause die Genehmigung für die Versenkung der Brent Spar erteilt wurde, sagte am Wochenende in einem Interview mit der BBC: „Es scheint, daß wir es hier mit einer Gruppe von Extremisten zu tun haben, die offenbar willens sind, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Ganz eindeutig ist das Recht jedoch auf Shells Seite. Der Konzern tut nichts anderes, als sein Personal und sein Eigentum zu verteidigen.“

Der politische Druck auf Shell wächst jetzt auch in Großbritannien. Frank Dobson, Umweltminister einer zukünftigen Labourregierung, rief zu einem landesweiten Boykott von Shell-Produkten auf, um den Mineralölkonzern zum Einlenken zu bewegen. Auch die beiden anderen großen Oppositionsparteien, die Liberaldemokraten und die schottischen Nationalisten riefen zur Unterstützung des Boykotts auf. Greenpeace- Sprecher Ulrich Jürgens kommentiert: „Mit der Verklappung der Brent Spar wird Shell sich selber mitversenken.“

Etwa 40 Mitglieder der Jugendorganisation von der Partei Groenlinks haben gestern vorübergehend das Shell-Laboratorium in Amsterdam blockiert. Die Polizei griff nicht ein. Beinah zeitgleich stellten Greenpeace-Aktivisten vor dem Hauptsitz von Shell in Den Haag einen Nachbau der Brent Spar auf. An einem Gerüst wurde ein riesiges Porträt des Shell-Chefs aufgezogen mit dem Slogan: „Wenn es nach Herkströter geht, ist die Shell-Muschel bald die einzige Muschel in der Nordsee.“ Am Nachmittag wurden der Shell-Leitung 10.000 Protestkarten überreicht. Bereits vor einem Monat blockierten Greenpeace-Mitarbeiter den Haupteingang des Shell-Gebäudes. Die Aktion endete, als die Angestellten aus Nebengebäuden durch Tunnel doch noch an ihren Arbeitsplatz gelangen konnten.

An einer Shell-Tankstelle in Njimwegen fand die Polizei am Morgen ein Paket, das sich als Bombenattrappe herausstellte. Anwohner mußten zeitweise ihre Häuser räumen, eine Kreuzung wurde gesperrt. Eine weitere Bombendrohung hat die Polizei am Freitag abend dazu veranlaßt, den Verkehr auf der Autobahn Utrecht in Richtung Breda vorübergehend stillzulegen. Auch hier erhielt die Polizei einen anonymen Tip, daß sich neben einer Shell- Tankstelle eine Bombe befände. In der Nacht zuvor beschädigten Unbekannte Zapfsäulen einer Tankstelle in Amsterdam.

Neben Greenpeace haben sich in den Niederlanden inzwischen fünf Umweltorganisationen und mehrere Gewerkschaften dem Boykott angeschlossen. Die Minister Hans Wijers (Wirtschaft) und Annemarie Jorritsma (Verkehr) trafen sich Ende vergangener Woche zu einem Gespräch mit dem Shell-Chef Cor Herkströter. Zum Versenken der Brent Spar gäbe es keine Alternative, gaben sie anschließend bekannt. Die Suche nach einer neuen Lösung sei Aufgabe der britischen Regierung. Das niederländische Parlament schickte an das britische Unterhaus einen Protestbrief.