Landminen: Der Völkermord in Zeitlupe

■ Minen sind eine Pest, die sich immer weiter verbreitet. Millionen Minen werden jährlich gelegt und nur 100.000 geräumt. Die Zivilbevölkerung muß leiden

Urfa ist ein verschlafenes Nest. Im Sommer ist die Stadt im türkischen Kurdistan wie ausgestorben. Bei vierzig Grad dösen die Menschen auf dem Basar vor sich hin. Selbst die Esel, die zum Verkauf angeboten werden, wirken apathisch. Das ist aber nicht nur eine Folge der Hitze: Die Tiere sind uralt. Zum Lastenschleppen dienen sie nicht mehr. Trotzdem werden sie gekauft. Die Bauern benutzen sie als lebende Minensuchgeräte. Der unerklärte Krieg in Türkisch- Kurdistan hat für die Zivilbevölkerung dazu geführt, daß immer mehr Landstriche vermint werden, besonders die Grenzgebiete zu Irak, Iran und Syrien. Wo der Weg von einem Dorf ins andere zu einer Todesroute wird, trottet jetzt der Esel voran.

Wie in Kurdistan sind weite Landstriche der Dritten Welt und neuerdings auch Europas – nämlich im ehemaligen Jugoslawien – durch Minen verseucht.

– Schätzungen von UNO, dem Internationalen Roten Kreuz und dem US-State-Department bewegen sich zwischen 80 und 200 Millionen Minen, die in 65 Ländern unerkannt als tödliche Gefahr in der Erde lauern.

– Jahr für Jahr werden fünf bis zehn Millionen Minen produziert. Zwei Millionen Minen werden gelegt, aber nur 100.000 beseitigt.

– Jedes Jahr werden 26.000 Menschen durch Landminen getötet oder verletzt, das sind siebzig pro Tag, drei in der Stunde. Jede Stunde werden ein Kind beim Spielen, eine Frau beim Wasserholen oder ein Mann beim Versuch, ein Stück Land wieder zu bebauen, von einer Mine zerrissen. Die Überlebenden sind verstümmelt.

Betroffen sind vor allem die Regionen, in denen sich die Stellvertreterkriege der Großmächte in den letzten vierzig Jahren konzentrierten, in Südostasien sind das Kambodscha, Vietnam, Laos, in Mittelamerika Salvador, Nicaragua, Honduras, in Afrika Angola, Somalia, Mosambik, im Nahen Osten Kurdistan und Afghanistan.

Wenn der Krieg offiziell vorbei ist, fängt der Minenkrieg erst richtig an. Flüchtlinge, die in ihre Dörfer zurückkehren, finden ihre Äcker, ihre Wasserstellen, manchmal gar ihre Häuser vermint wieder.

Minenprotokolle existieren fast nie, oft sind Minen ja von vornherein als Terrorinstrument gegen die Zivilbevölkerung gedacht. Den kriegführenden Parteien gelten Minen in vielen Situationen als ideale Waffe. Sie sind billig – die Stückkosten für einfache Anti- Personen-Minen liegen bei rund 3 Dollar. Einmal verlegt bleiben sie über Jahrzehnte scharf – ein optimaler Soldat, wie ein General der Roten Khmer einmal erläuterte: „billig, zuverlässig und jederzeit einsatzbereit“.

Minen wurden erstmals im Ersten Weltkrieg als Tretminen, die ein bestimmtes Gelände sperren sollten, eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg waren Minen die Anti- Panzer-Waffe schlechthin. Um zu verhindern, daß Minenfelder gegen Panzer leicht geräumt werden können, wurden sie durch Anti- Personen-Minen gesichert. Während des Krieges genügte es den Militärs dann, Schneisen durch Minenfelder zu schlagen und die Durchfahrten zu sichern. Der Rest blieb liegen. Weite Teile der Nordafrikanischen Wüste sind seit den Rommelschen Feldzügen minenverseucht.

Massenhaften Mineneinsatz gegen Guerillatruppen führten erstmals die USA in Vietnam durch. Aus Hubschraubern wurden ganze Minenfelder in wenigen Minuten verlegt – eine Hinterlassenschaft, die Kambodscha, das nach den Amerikanern noch von den Roten Khmer, den Chinesen und Vietnamesen vermint wurde, zu dem am schlimmsten verseuchten Gebiet weltweit machen.

Selbst Minen, die noch zur Primitivversion zählen, offenbaren bereits eine besondere Perversion des militärischen Denken. Sie sind häufig so konstruiert, daß sie vor der Detonation einen halben Meter in die Höhe springen und gezielt den Genitalbereich zerfetzen. Die Opfer sollen am besten nur schwer verletzt sein – das bindet andere Soldaten für den Rücktransport zu den Sanitätsstützpunkten und wirkt auf die kämpfende Truppe besonders demoralisierend.

Moderne Minen verfügen in aller Regel über einen Selbstzerstörungsmechanismus, der die Waffe nach einer vorher festgelegten Zeit unschädlich machen soll, was von Militärs und Politikern aus unterschiedlichen Motiven gepriesen wird. Die Militärs schätzen den Mechanismus, um die Minen auch als Angriffswaffen einsetzen zu können – auf einem Gebiet, das die eigenen Truppen später besetzen sollen. Für Politiker ist Selbstzerstörung das Argument, intelligente Minen aus der Diskussion um eine weltweite Ächtung herauszuhalten, da sie ja Zivilisten nicht gefährden würden.

Denn so einfach der Einsatz, so schwierig die Räumung.

Minenräumpanzer sind dafür ungeeignet, weil sie Minen oft nicht zerstören, sondern nur aus einer Spur von zwei bis drei Metern herausschleudern. So bleibt in aller Regel die mühsame Arbeit, ein Feld mit Metalldetektoren abzusuchen und jede einzelne Mine freizulegen und zu entschärfen. Das kostet Zeit und Geld. Beides ist in den betroffenen Regionen nicht vorhanden. Die Zeit drängt, damit das verminte Land endlich wieder bebaut werden kann und Flüchtlinge zurückkehren können.

Um dies schnell zu realisieren, braucht man erhebliche Mittel. Die Räumung einer 3-Dollar-Mine kostet rund 1.000 Dollar. Das einzige Land, das sich einen solchen Einsatz in der letzten Zeit leisten konnte, war Kuweit. Die Kuweitis beauftragten westliche Firmen und ließen die wichtigsten Areale für viel Geld freiräumen.

Das sieht in Kambodscha etwas anders aus. Wird im bisherigen Tempo weiter geräumt, ist Kambodscha nach UN-Angaben in 300 Jahren minenfrei, vorausgesetzt, es werden keine neuen gelegt. Jürgen Gottschlich