Das „Prinzip der zwei Tresore“

Für die Vereinigung mit Brandenburg müssen Berlins Finanzen neu geordnet werden: Land und Kommunen bedienen sich aus einem Topf, Land und die Stadt Berlin aus einem anderen / Welche Gebäude gehören der späteren Stadt?  ■ Von Dirk Wildt

Für eine Sparte des Fuhrgewerbes hat die Fusion von Brandenburg und Berlin – vermutlich im Jahr 1999 – etwas Gutes: Das Geldtransportgewerbe wird aufblühen. Nach der Vereinigung nämlich werden gepanzerte Kleinlaster ständig Millionen von Markscheinen und Milliarden von Hartgeld zwischen Berliner und Potsdamer Tresoren hin- und herfahren. Zwischen dem Land Berlin-Brandenburg und der 3,5-Millionen-Metropole, die ihren Status als Stadtstaat verliert, werden derart komplizierte Geldtransaktionen nötig, daß heute allerdings noch nicht einmal Finanzexperten sagen können, wie das alles eigentlich genau funktionieren soll.

Bis zur Fusion müssen noch vier Fragen geklärt werden: Wie werden die im Stadtgebiet erzielten Steuereinnahmen zwischen Kommune Berlin und Land Brandenburg verteilt? Welche Aufgaben der Senatsverwaltungen hat das Land und welche die Kommune zu erfüllen? Wer bezahlt Berlins kommunale Aufgaben? Und was fällt von dem derzeitigen Vermögen des Stadtstaates wie Gebäude, Grundstücke und Beteiligungen an Unternehmen der Stadt zu?

Würden Berlin und Brandenburg in diesem Jahr fusionieren, wäre die Stadt bereits nach wenigen Wochen Bankrott. Von den knapp 37 Milliarden Mark Einnahmen aus Steuern, Gebühren, Verkauf von Landesvermögen und dem Länderfinanzausgleich würden der Stadt gerade sechs Milliarden Mark bleiben. Die Kosten für kommunale Aufgaben würden sich mit 27 Milliarden Mark aber knapp auf das fünffache der Einnahmen belaufen, hat die Finanzverwaltung ausrechnen lassen. Um aber nun dieses Loch von 21 Milliarden Mark zu stopfen, haben die Fusionsverhandler ein sogenanntes „Ausgleichsprinzip“ ausgeheckt.

Wichtigste Idee für dieses Ausgleichsprinzip ist, daß es für die Gelder des Landes, der Stadt Berlin und den Kommunen keinen gemeinsamen Tresor geben wird. Im Prinzip wird es zwei Tresore geben – nämlich einen, aus dem sich das dann gemeinsame Land und die Kommunen bedienen und einen anderen, dessen Geheimzahl nur das Land und die dann kreisfreie Stadt Berlin kennen. Entsprechend ihrer Bestimmung werden Geldtransporter mit Steuereinnahmen, mit Zuschüssen des Bundes und der Europäischen Union vor einem der beiden Tresore pralle Geldsäcke abladen. Alle Gelder, die Berlin einnimmt, fließen also in den Tresor, dessen Tür nur Landesregierung und Stadt Berlin öffnen können.

Nun dürfen sich aber ein möglicher Ministerpräsident Manfred Stolpe oder ein potentieller Oberbürgermeister Eberhard Diepgen nicht nach Belieben aus diesem Tresor bedienen. Sondern je nachdem, wieviel kommunale Aufgaben die Stadt übernimmt, darf Diepgen Geldsäcke fortschleppen – zum Beispiel für den Bau von Kindertagesstätten und Schulen. Von dem, was übrigbleibt, muß Stolpe die Aufgaben finanzieren, die das Land in Berlin erfüllt, wie etwa Wohnungsbau oder den Betrieb der Universitäten, Theater und Krankenhäuser. Bleibt am Jahresende etwas übrig, fährt ein Transporter das Geld zum Tresor des Landes und der Kommunen.

Auf diesen zweiten Tresor hat Berlin keinen Zugriff. Es gibt ihn, damit eine Fusion auf keinen Fall zu einem finanziellen Nachteil für die Kommunen auf Brandenburger Gebiet führt. Sollte aufgrund sparsamen Haushaltens auf dem Land Geld übrigbleiben, bleibt es in diesem Tresor.

Wäre das alles, wären die Finanzfragen zwischen Kommunen, Land und Stadt sicher schnell geklärt. Zusätzlich müssen Berlin und Brandenburg die Höhe der Kredite, die sie Jahr für Jahr neu aufnehmen, senken. Dieses Jahr nimmt Berlin seinen „Dispo“ um weitere 6,75 Milliarden Mark in Anspruch. Dieser Betrag soll nun jährlich um 650 Millionen Mark schrumpfen, so daß die Stadt im Vereinigungsjahr 1999 an neuen Krediten nur noch 4,7 Milliarden Mark aufnehmen dürfte. Auch Brandenburg muß die sogenannte Nettokreditaufnahme von einer halben Milliarde Mark auf dann drei Milliarden Mark senken.

Hintergrund für diesen Kraftakt sind einerseits die Schulden beider Länder, andererseits die Tatsache, daß die Einnahmen durch das Berliner Stadtstaatenprivileg nach der Fusion sukzessive schrumpfen. Die Schulden Brandenburgs belaufen sich derzeit auf 15 Milliarden Mark, die Berlins auf knapp 40 Milliarden Mark. Pro Kopf gerechnet ist ein Berliner mit 11.500 Mark und ein Brandenburger mit 6.000 Mark verschuldet. Das gemeinsame Land wird pro Einwohner aber Schulden nur in der Höhe der Brandenburger tragen. Die Stadt muß die Differenz übernehmen – heute wäre das also knapp die Hälfte der Schulden des Landes Berlin. Das Stadtstaatenprivileg von knapp fünf Milliarden Mark Bundeszuschüssen jährlich erhält das Land ausnahmsweise bis zum Jahr 2009 weiter, dann wird es bis zum Jahr 2013 sukzessive abgebaut. Die Zahl der Landesbediensteten soll bis 1999 von 270.000 auf 159.000 reduziert werden.

Die Zahl der Landesbediensteten zu reduzieren, wäre angesichts der dramatischen Haushaltslage auch ohne Fusion nötig – trotzdem dürften in den kommenden vier Jahren in Berlin kaum die geplanten 40.000 Stellen abgebaut werden können. Und auch, weil eine Vereinigungskommission das Berliner Vermögen bis 1997 aufteilen soll, wird die Fusion beide Landesregierungen noch intensiv beschäftigen.

Aktueller Bericht Seite 5