Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...hat's gut. Gegenüber dem Hetero ist er im Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist: Er hat ein Privatleben. Das so geheim ist und besser gehütet, als Zsa Zsa Gabor je ihr Geburtsdatum zu schützen vermag. Niemand erfährt etwas vom schwulen Leben, nicht die Kollegen, nicht die Freunde, auf keinen Fall die Nachbarn und – ganz wichtig – vor allem nicht die Familie. In seinen Personalpapieren steht lediglich „ledig“, an der Haustür nur ein Name und in seinem Nekrolog „Keine Nachfahren“. Quasi heimat- und bindungslos und bar jeglicher Verpflichtungen bewegt er sich zwischen allen Stühlen.

Daß dies so bleibt, dafür sorgt schon des Homos ärgster Feind, der Hetero. „Wir wollen das doch gar nicht wissen“, sagt der, oder: „Darüber muß man nun wirklich nicht reden“, oder: „Ich binde ja auch nicht jedem mein Privatleben auf die Nase“, und kramt gleichzeitig seine Brieftasche mit den Fotos von Frau und Kind und Hund und Haus aus der Tasche. Der Hetero will den Homo einfach nicht kennen, nicht als Homo, höchstens als charmanten Plauderer, gepflegten Ästheten, freundlichen Junggesellen oder – weil's so schön gruselt – als verkommenes Sexmonster.

Nur eine Chance hat der Schwule, sein Privates öffentlich werden zu lassen: Sterben muß er. Allein die bange Erwartung des nahen Todes bricht alle Dämme und läßt die Menschen plaudern. So war es bei Rock Hudson und Freddie Mercury und – letzte Beispiele – bei Golo Mann und Werner Veigel. Plötzlich geht's, ein „Ach was“ geht durch die Reihe, und „Das hätte ich aber nicht gedacht“, die Sensation mischt sich mit Mitleid, die Wahrheit kann plötzlich ausgehalten werden, weil der Mensch nicht mehr lange ertragen werden muß.

Eine andere Variante des schonendes Umgangs mit der Wahrheit ist die der schmierigen Andeutung. Da gebe es zwei im Bonner Kabinett, schrieb kürzlich Spiegel Special, Thema: Liebe (!), und sorgte für schlüpfrige Spekulationen. Natürlich wurden nicht die Namen derer genannt, die gemeint waren: Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann und Helmut Schäfer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Keine Offenheit ohne Not: Die spart man sich auf – wie die jüngsten „Enthüllungen“ um den sächsischen Innenminister Heinz Eggert beweisen – bis sich damit Skandal und Schlagzeilen produzieren lassen. Vorbereitet wird das auf der Klatschebene, so wie die Woche schon vor einem Jahr die Klage wiedergab, daß Eggert auch leichtbekleidete Frauen partout nicht beachte. Und auf der Nachrichtenebene kommt es dann zum Vollzug, unter Hinweis auf „eidesstattliche Versicherungen“. Denn das offene Wort ist nur als Waffe zu gebrauchen, im Kampf um Ämter und Auflage.

Das garantiert auch, daß der Schwule versteckt bleibt und nicht zum Nächsten wird, nicht im biblischen und auch nicht im weltlichen Sinn. Damit bleibt er auf Distanz, man hält ihn sich vom Leib, ganz wörtlich gemeint. Der Schwule selbst übernimmt nur zu gerne die falsche Rede vom Privaten: „Mein Privatleben geht niemanden was an!“ plappert er nach, von oben herab, als ob es seine Entscheidung sei. Und merkt dabei gar nicht, daß er gar keines hat, und nichts zu erzählen davon, den Nachbarn, den Kollegen, der Familie, jenen, die zu so einem Leben dann doch dazugehören.