Im Zeichen des Besens

Der erneute Titelgewinn des Basketballteams der Houston Rockets versetzte die texanische Metropole in mehrtägige Verzückung  ■ Aus Houston Boris Gritzka

Zuerst war es wie jeder andere Abend in Houston auch, der viertgrößten Metropole der USA, gelegen am Bayou im Südosten des Bundesstaates Texas. Endlose Autokolonnen bewegten sich schleppend durch die heiß-schwüle Abendluft. Der Verkehr der heimkehrenden Berufstätigen endete jedoch früher als sonst, und auch Menschen sah man kaum noch auf der Straße. Das änderte sich dann plötzlich: Um kurz nach elf waren aus allen Ecken Jubelschreie zu vernehmen, Menschen quollen aus Bars und Häusern, fielen sich in die Arme, machten Luftsprünge, stiegen in ihre Autos, um feiernd durch die Stadt zu fahren. Laute Musik und eine unendliche Anzahl von Autohupen unterbrachen die zuvor herrschende Ruhe, Menschen standen tanzend auf den Dächern ihrer Autos. Die Houston Rockets, das Basketballteam der Stadt, hatten gerade den Titel der NBA im Finale gegen die Orlando Magic aus Florida mit einem „Sweep“ (weggefegt mit 4:0) gewonnen.

So wurde der Kehrbesen für einige Tage zum Wahrzeichen der Stadt, prangte an Werbetafeln oder als bewegte Leuchtreklame unmittelbar neben dem Summit, der Arena, in der die Rockets in Houston ihre Spiele austragen. Besen ragten aus allen Autos, wurden von Passanten geschwungen, und die sonst eher unangenehme Tätigkeit des Straßenfegens wurde zur ehrenvollen Aufgabe. „Take pride in what you do“, der amerikanische Slogan, mit dem sonst dem für fünf Dollar Mindestlohn arbeitenden Bevölkerungsteil die Arbeit schmackhaft gemacht werden soll, gewann für kurze Zeit eine höhere Bedeutung. „Dieser Sieg bringt uns Respekt“, diese Bemerkung fiel nicht nur immer wieder in etlichen Interviews mit Trainer und Spielern des Siegerteams, denen nach ihrem letztjährigen NBA- Sieg wenig nationale Anerkennung zuteil geworden war, sondern war auch immer wieder von Passanten zu vernehmen, die das Ereignis auf dem Richmond Strip, der Bar- und Partymeile der Stadt, bis fünf Uhr morgens feierten.

Houston ist eine sehr junge Stadt, und die Einwohner tun sich schwer bei der Identifikation mit ihrer Metropole, in die sie ursprünglich nur gekommen sind, um Geld zu verdienen. Eine Stadt, die ihren Gewerbetreibenden kaum gesetzliche Beschränkungen in den Weg legt und in der der Kapitalismus in Reinstform praktiziert wird. Hier kann man 24 Stunden täglich alles kaufen, was es gibt, hier lebt man im Auto und in gekühlten Räumen, und hier baut man 12-spurige Freeways direkt neben Schulen und durch Villengegenden, denn es gibt keine Gesetze, die die Expansion und den Bau von Geschäften und Firmen einschränken. So kann es passieren, daß plötzlich neben einem Haus in einer ruhigen und grünen Wohngegend eine Tankstelle, eine McDonald's Filiale oder eine Fabrik gebaut wird.

Das hat zur Folge, daß Houston optisch unattraktiv ist und von vielen seiner Einwohner sehr zwiespältig betrachtet wird. Von Außenstehenden wird es oft als Schmuddelstadt oder erst gar nicht als Stadt beschrieben, sondern als Ansammlung von Menschen und Gebäuden ohne eigenen Charakter. Von Houston wurden im Jahre 1969 die ersten Menschen zum Mond geschickt, und auch heute noch nimmt das NASA-Programm des Kennedy-Raumfahrtzentrums wirtschaftlich und ideologisch einen hohen Stellenwert ein, ist allerdings durch drohende Ausgabenkürzungen Washingtons mittelfristig von der Schließung bedroht. Es ist nicht nur der Name der Rockets, der die Bedeutung des Space Centers und seiner Geschichte widerspiegelt, sondern auch der Name des Baseballteams der Stadt: Houston Astros.

Die Astros sind ein eher mittelklassiges Team, und Baseballspiele haben in den gesamten USA seit dem Spielerstreik in der letzten Saison geringen Zuschauerzuspruch. Die Oilers, Houstons Footballteam, spielen seit Jahren im Mittelfeld der NFL und stehen im Schatten der Cowboys aus Dallas, die in den letzten Jahren zweimal den Superbowl gewannen. So bietet die Stadt mit den in den USA niedrigsten Lebenshaltungskosten wirtschaftlich viele Anreize, hat seinen Einwohnern und Besuchern aber sportlich und kulturell nur wenig zu bieten. Dies erklärt das Fieber, in das die Stadt geriet, als die Houston Rockets auf ihrer „Road to Repeat“ der Wiederholung ihres Titelgewinns von 94 näherkamen, und den Ausbruch der Begeisterung nach dem Sieg.

Besondere Bedeutung hatte der Sieg der Rockets für die im heruntergekommenen Schatten der Downtown lebende Inner-City- Bevölkerung, die von Armut und Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen ist und im Abseits des Kommerzes ein karges Dasein fristet. Dies trifft besonders auf die schwarze Bevölkerung zu, die sich sehr stark mit dem fast komplett schwarzen Team der Rockets identifiziert.

„Stolz und Respekt“ und eine „Aufwertung ihres Daseins“ standen im Mittelpunkt von Gesprächen mit den Menschen hier, die sonst wenig Beachtung finden und deren Wohngegenden wegen hoher Kriminalität in den Lokalnachrichten negative Schlagzeilen machen. Hier, in der Nähe der Downtown, ist es auch, wo die Brüder und Schwestern des Rockets-Starspielers Clyde Drexler ihren Barbecue-Imbiß betreiben, der zu einem der Anlaufpunkte während der Finalspiele wurde.

Sympathie und Begeisterung kam aber auch bei Lateinamerikanern, Asiaten und den vielen anderen Bevölkerungsgruppen der Stadt auf. Die Houston Rockets vereinten auf sich ein gemeinsames Interesse vieler verschiedener Menschen, die sonst den Alltag sehr getrennt voneinander verbringen. Und so kam es auch zu dem riesigen Besucherandrang bei der Parade, die die Stadt für die Houston Rockets veranstaltete. 500.000 Menschen strömten in die Downtown, um ihre Stars vielleicht zum ersten Mal mit eigenen Augen zu sehen. Nachdem zu Saisonbeginn im letzten Herbst noch an allen Ecken Rockets-T-Shirts an den Mann gebracht wurden, war die Begeisterung im Laufe der ersten Saisonspiele sehr abgeflacht, da die Rockets durchschnittlich spielten und viele Spiele verloren. Die Houstonians vergaßen ihre Rockets, und im Summit, der im Vergleich zu anderen NBA- Arenen sehr klein ist und nur 16.000 Zuschauer faßt, blieben oft Plätze frei, so das gar die Ticketpreise heruntergesetzt wurden. „Wir Houstonians sind wirklich schlechte Fans; nur da, wenn sie ganz oben mitspielen“, meint meine Nachbarin.

Als die Rockets jedoch ihren erstaunlichen Siegeszug ins Finale absolvierten, wurde die Begeisterung wieder riesengroß. Die Anzahl der mit Rocketsschriftzügen und Emblemen geschmückten Autos nahm täglich zu, Ärzte und Schwestern schmückten sich mit Rocketsplaketten und am Tag des letzten Spiels trug selbst der weltbekannte Herzchirurg Denton Cooley im OP statt der Standard- OP-Haube eine extra angefertigte rot-gelbe Rockets-OP-Haube. Die T-Shirt-Stände sind wieder da, und einer der Verkäufer, der neben den neuen T-Shirts auch die des letzten Jahres verkaufte, rief mir zu: „Nach Houston 94 und Twouston 95 kommt nächstes Jahr Threeston 96.“ Auf daß der Rubel rollt!