Lieber Geld als Soldaten

Für den Aufbau der kroatisch-bosnischen Föderation wird vor allem Wirtschaftshilfe benötigt / Die 450 Millionen Dollar für die Eingreiftruppe werden als Verschwendung angesehen  ■ Aus Zentralbosnien Erich Rathfelder

Vinko und Maria stöhnen auf. „O Gott, jetzt fängt das schon wieder an!“ Mit ohrenbetäubendem Lärm rasseln britische Warrior- Panzer an ihrem Vorgarten vorbei. „In der Nacht zum Dienstag waren es 42 Panzer und eine endlose Kolonne von Lastwagen, wir haben für Stunden kein Auge zugemacht.“

Immer noch kommen sie im zentralbosnischen Vitez an, die Kolonnen der britischen Eingreiftruppen oder, genauer gesagt, der „Rapid Reaction Force“. Sie bilden die Nachhut der Eingreiftruppen und sind erst vor einigen Tagen in der kroatischen Hafenstadt Split von den Transportschiffen der britischen Marine angelandet worden. Keine 200 Meter von dem Häuschen der Familie entfernt biegen die Fahrzeuge in das seit 1992 bestehende Basislager der britischen UNO-Truppen ein. Dort stehen sie jetzt, die Panzer und Lastwagen, fein säuberlich aufgereiht, auf einer bisher ungenutzten Wiese.

Wann sie sich von dort wieder fortbewegen werden, steht in den Sternen. Denn seit der Entscheidung des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen von voriger Woche, die Eingreiftruppe unter das bisherige Mandat der UNO zu subsumieren, ist ihre Aufgabe unklar geworden. Bei den Kämpfen zur Befreiung Sarajevos jedenfalls werden sie nicht eingesetzt. Das ursprüngliche Ziel also, einen von der UNO kontrollierten Korridor in die belagerte Stadt abzusichern, ist hinfällig geworden. Und seit die serbischen Truppen des Radovan Karadžić alle schweren Waffen aus den UNO-Sammellagern rund um Sarajevo entwendet haben – in denen sie seit Februar 1994 gelagert waren –, ist das gesamte UNO- Konzept um die bosnische Hauptstadt zusammengebrochen.

Auf dem von der Sonne aufgeweichten Teer der Straße haben die Ketten der Panzer Spuren hinterlassen. „Sie machen nur die Straßen kaputt.“ Vinko reibt Zeigefinger und Daumen aneinander. „Das kostet doch alles Geld. Das könnte wirklich anders verwendet werden.“ Seit Kriegsbeginn im Frühjahr 1992 liege die Wirtschaft am Boden, auch hier, in dieser Region der bosnischen Kroaten, nicht nur in den muslimisch dominierten Gebieten Bosniens. Seine Tochter, die früher im Büro des Stahlwerks der 30 Kilometer entfernt gelegenen Stadt Zenica gearbeitet hatte, sei wie er selbst, der Ingenieur ist, arbeitslos geworden und ohne Aussicht auf irgendeine sinnvolle Tätigkeit. Die Familie nutze zwar ihren Garten und das kleine Feld hinter dem Haus zum Anbau von Gemüse, ein paar Schweine und Hühner hätten sie sich auch zugelegt, um zu überleben, „doch langsam müßte trotz des Krieges doch auch die Wirtschaft wieder in Gang kommen“.

„Die Eingreiftruppe bedeutet nichts anderes als rausgeschmissenes Geld, die 450 Millionen Dollar, die für sechs Monate ausgegeben werden sollen, könnten auf andere Weise verwendet werden.“ Der US-amerikanische Ex-Militär Carter ist Mitglied einer Kommission aus amerikanischen und deutschen Experten und Diplomaten, die unter der Leitung des deutschen CDU-Abgeordneten Schwarz- Schilling beim Aufbau der kroatisch-bosnischen Föderation helfen sollen. Ein leichtes Schmunzeln überfliegt das Gesicht des schlanken, ruhig und überlegt wirkenden Mannes, als die Weigerung der USA zur Sprache kommt, die neue Eingreiftruppe mit zu finanzieren.

Gibt es also im westlichen Bündnis zwei Optionen, eine britisch-französische und eine amerikanisch-deutsche? Setzen also Briten und Franzosen auf militärische Mittel, während die amerikanisch- deutsche Option die Festigung der kroatisch-bosnischen Föderation im Auge hat? Nach einem Blick auf die Ruinen der bei den Kämpfen zwischen Kroaten und Muslimen 1993 zerstörten Stadt Gornji Vakuf, die vom Fenster seines Büros aus zu sehen sind, wird Carter ärgerlich. „Nicht so direkt. Das Projekt der Administration in Mostar mit Hans Koschnick an der Spitze ist ja ein Projekt der Europäischen Union. Leider wird die zweite Option auch von den USA nicht konsequent genug verfolgt. Alle Programme zur Rekonstruktion der Wirtschaft der bosnisch- kroatischen Föderation sind vom amerikanischen Kongreß gekürzt worden. Und auch die Projekte der Europäischen Gemeinschaft sind noch nicht weit genug gediehen.“

Dabei wäre die Rekonstruktion der Wirtschaft der kroatisch-bosniakischen Föderation das wichtigste Mittel, sowohl die politischen Ziele – nämlich die Föderation zu festigen – wie auch die militärischen Ziele zu erreichen. „Würde die Föderation in die Lage versetzt, ihre Wirtschaft wenigstens teilweise wiederaufzubauen, wäre sie auch militärisch besser als jetzt in der Lage, die serbische Armee Schritt für Schritt zurückzudrängen.“

Immerhin, so gibt Carter an, hätten die politischen Verhandlungen der letzten Wochen zwischen der kroatischen und muslimischen Seite Erfolg gehabt. In verschiedenen Gemeinden würden nun Bürgermeister gewählt, als Gegengewicht erhalte die jeweils unterlegene Seite den Posten des Vorsitzenden des Gemeinderates. Mit diesem Proporzsystem müßte es auch gelingen, die geplanten Kantone der Föderation zu etablieren und langsam die Vertriebenen wieder in ihre Heimatorte zurückzubringen. „Dabei könnten die UNO-Truppen eine positive Rolle spielen, sie könnten dann nämlich in diesen Regionen für eine Übergangszeit präsent sein. Das würde den zurückgekehrten Vertriebenen Vertrauen einflößen.“

Im muslimisch dominierten Zentrum Gornji Vakufs blicken die Gäste eines Cafés gepannt auf den Fernseher. Doch die Nachrichten über die Lage an den Fronten sind spärlich und befriedigen nicht. „Zuviel Propaganda. Unsere eigenen Verluste werden gar nicht erwähnt“, sagt ein junger Mann, der in zwei Tagen wieder zum bosnischen Militär zurückmuß und gemischte Gefühle dabei hat. Was ihm am meisten freue, sei, daß die kroatische HVO an den Kämpfen zur Befreiung Sarajevos teilnimmt. „Die militärische Zusammenarbeit klappt inzwischen gut.“

Aber wie ist das Zusammenleben hier in der Stadt? Der junge Mann deutet auf die Demarkationslinie, die beide Hälften Gornji Vakufs trennt. Erst kürzlich sei ein älterer Mann, ein Muslim, im kroatischen Teil von seinem Fahrrad gezogen und von einem jungen Kroaten zusammengeschlagen worden. „Der Krieg zwischen Kroaten und Muslimen wurde von oben, von den Politikern angefangen und in die Bevölkerung getragen. Jetzt ist es schwer, die Menschen von unten her wieder zusammenzuführen.“ Aber immerhin seien die Verkehrswege wieder offen. Und damit die Versorgung der zentralbosnischen Gebiete.

In den Geschäften des muslimischen Teils der Stadt wird mit deutscher Währung gezahlt. An der Tankstelle auf der kroatischen Seite ist der Tankwart erst bereit, D-Mark anzunehmen, nachdem er bemerkt, daß die Kunden Ausländer sind. „Hier wird normalerweise mit Kuna bezahlt.“ Die kroatische Währung gilt für alle von Kroaten beherrschten Gebiete, für die Westherzegowina, die direkt mit den kroatisch dominierten Gebieten um Gornji Vakuf verbunden ist, ebenso wie für Westmostar. Auch in der kroatischen Enklave in Zentralbosnien, Novi- Travnik-Vitez-Busovaca, und derjenigen von Kiseljak wird mit Kuna bezahlt.

Das Telefonsystem dieser Orte ist direkt an das von Kroatien angekoppelt und funktioniert relativ reibungslos. Nach wie vor jedoch sind die Telefonverbindungen der muslimisch dominierten Gebiete mit der Außenwelt miserabel, die kroatische Seite hat den Ausbau der Leitungen für die bosniakisch- muslimischen Gebiete an ihr Telefonsystem bisher herausgezögert.

„Wir müssen unbedingt diese Hindernisse innerhalb der Föderation beiseite räumen.“ Besim Spahić, der energische Bürgermeister der von der bosnischen Regierung kontrollierten Stahlstadt Zenica, hat zusammen mit Experten einen Wirtschaftsplan ausgearbeitet. „Das Stahlwerk, das Kombinat, das vor dem Krieg allein hier in Zenica über 20.000 Menschen beschäftigt hat, hätte auch ohne den Krieg abgespeckt werden müssen. In Zukunft wird das Stahlwerk in Kooperation mit deutschen und britischen Firmen spezielle Stahlsorten herstellen.“

Die Stadt Zenica möchte aber ähnlich wie die Stadt Tuzla auch andere Sektoren der Wirtschaft modernisieren. Mittelständische Unternehmen – auch im High- Tech-Bereich – sollen gegründet werden und mit ausländischen Unternehmen kooperieren. „Wir haben hier ein hochqualifiziertes Fachpersonal, denn unser Ausbildungssystem konnte sich vor dem Krieg sehen lassen.“ Die Universitätsinstitute für Metallurgie und Materialprüfung seien auch über die Grenzen Jugoslawiens hinaus bekannt gewesen.

Um solche Zukunftsvisionen zu erfüllen, müßten die Zufahrtwege zur Küste gesichert sein. Die Föderation müsse endlich funktionieren. Noch sei die Blockade durch die kroatische Führung der Westherzegowina nicht vollständig aufgehoben, deutet der Bürgermeister vorsichtig an. Daß Zölle von dem nicht anerkannten kroatisch- bosnischen Staat „Herceg-Bosna“ erhoben und manche Waren oder Ersatzteile gar nicht durchgelassen würden, decke sich nicht mit dem Geist der Föderation.

Vielleicht könnte da weiterer politischer Druck von außen hilfreich sein? Auch die UNO beteilige sich an der Blockade, viele Waren unterlägen dem Wirtschaftsembargo gegenüber Bosnien, meint Spahić. „Es gibt nicht nur ein Waffenembargo.“ Und immer noch sei die Eisenbahnlinie von Zenica in die Hafenstadt Ploce an einer Stelle von den Serben unterbrochen. „Aber das ist ein militärisches Problem. Unserer Armee wird es über kurz oder lang gelingen, die Eisenbahnlinie und weitere Straßenverbindungen freizukämpfen.“

„450 Millionen Dollar für die Eingreiftruppe. Und das in 6 Monaten!“ Ein Mitarbeiter des Bürgermeisters greift sich an den Kopf. Wenn nur ein Teil davon in die Wirtschaftshilfe flösse, wäre mehr gewonnen. Der ganze UNO- Einsatz müsse auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten überdacht werden. „Dann wären vielleicht Mittel frei, das Wirtschaftsleben zu unterstützen. Wir müssen auf eigenen Beinen stehen können. Dann helfen wir uns militärisch selbst“, hofft er.

Auf der Straße nach Vitez rasseln die Ketten einer langen Kolonne französischer Panzer. Im Pressebüro der britischen Truppen bietet ein Offizier den Journalisten an, einer Schießübung der britischen Streitkräfte beizuwohnen. „Immerhin können sie hier Militärübungen abhalten, die wegen der Proteste der Bauern zu Hause nicht möglich wären“, meint Vinko trocken. Und sorgsam jäten er und Maria die Gemüsebeete vor dem Haus.