■ Die Brent Spar und der Schatten des britischen Empires
: Alle hängen am Öl

„Jeder König hat seine geheimen Gärten“, soll der marokkanische Monarch Hassan II. einem hartnäckigen Menschenrechtskritiker einmal erwidert haben. Auch der britische Staat hat, wenn auch nicht aus spezifisch monarchischen Gründen, seine domaines réservées, jene staatstragenden Bereiche des nationalen Interesses, die dem öffentlichen Auge verborgen bleiben sollen. Einer davon ist die Öl- und Gasförderung in der Nordsee, die jetzt im Zuge der Brent- Spar-Debatte internationale Aufmerksamkeit erregt hat.

Seit fünfzig Jahren ist Großbritannien eine Ölmacht, die ihren Namen nicht nennt. Nach der Aufgabe des indischen Subkontinents 1947 diente die britische Kontrolle über den Suez-Kanal nicht mehr dem Schutz des Handelswegs nach Indien, sondern vor allem dem Zugriff auf das neuentdeckte orientalische Öl. Je weiter der Verfall des Empire voranschritt, desto mehr übernahmen zwar die USA diese geopolitische Schlüsselrolle, doch dauerte es noch bis zum Ende der 70er Jahre, bis keine britischen Truppen mehr am Persischen Golf standen. Der Weg dorthin war – aus Londoner Sicht – mit guten Vorsätzen gepflastert: vom anglo- amerikanischen Putsch gegen iranische Nationalisten 1953 bis zur Bekämpfung des Aufstands des Sultans von Oman in den frühen 70er Jahren mit britischer Hilfe. Traumatisch und letztlich entscheidend für die britische Selbstaufgabe war die Suez-Krise von 1956, als der anglofranzösische Versuch, die ägyptische Verstaatlichung des Suez-Kanals militärisch zu verhindern, von den USA hintergangen wurde. Damals realisierte London nicht nur, daß Washington am längeren Hebel saß; die Krise hatte auch Folgewirkungen im britischen Alltag, bis hin zu einer Benzinrationierung. Es waren diese Stunden der Niederlage, in denen der Traum vom eigenen Öl geboren wurde.

Wirklichkeit wurde er erst, als die weltweite Explosion des Rohölpreises nach 1973 das britische Nordseeöl konkurrenzfähig machte. Die Ölförderung großen Stils begann 1975 und transformierte die britische Wirtschaft. Aus dem „Brent“-Ölfeld, dem zweitgrößten Fördergebiet, sprudelten ab 1976 täglich 350.000 Barrel. In den 80er Jahren, so errechneten Ökonomen, wuchs der finanzielle Vorteil der Öl- und Gasförderung für Großbritannien – berechnet aus Einsparungen durch Importsubstitution und Erlösen durch Energieexport – auf jährlich gut 15 Milliarden Pfund, damals je nach Wechselkurs 50 bis 80 Milliarden Mark.

Es ist sicherlich kein Zufall, daß die britische Militärpräsenz am Golf just in jenen Jahren zu Ende ging, als Großbritannien sich anschickte, selbst zu einer Petromonarchie zu werden. Die Konversion Großbritanniens zum Ölstaat kann als eine Art gelungene imperiale Konversion gelten, als postimperiale Selbstbeschränkung, in der die Ausbeutung fremder Länder durch die des eigenen ersetzt wird und zugleich ein Stückchen der früheren Beherrschung der Ozeane bewahrt bleibt. Sie war auch ein ökonomischer Geniestreich, da sie, so hofften jedenfalls alle Regierungen seit den 70er Jahren, dem chronischen britischen Handelsdefizit und damit der ewigen Finanzkrise des britischen Staates ein Ende setzen würde. Da die Öl- und Gasquellen – sämtlich im Besitz der Krone – mit wenigen Ausnahmen im Meer liegen und von hochqualifizierten und hochbezahlten Facharbeitern betrieben werden, fehlt außerdem in der britischen Öldebatte jene beim Bergbau und bei den klassischen Industrien häufig anzutreffende Kulturkritik, die von rechts die Verschandelung der Landschaft und von links die Ausbeutung der Arbeiterklasse anprangert.

Kurzum: Das Öl ist in Großbritannien kein Thema, denn es gibt daran nichts auszusetzen. Zwar werfen linke Ökonomen gerne der konservativen Regierung vor, die Ölgelder zur Finanzierung der Massenarbeitslosigkeit hinausgeschmissen zu haben, anstatt damit die Industrie zu modernisieren. Doch dieser Zwist illustriert eher den affirmativen Konsens der Briten gegenüber „ihrem“ Öl, als daß er die Ölabhängigkeit in Frage stellt. Selbst der schottische Nationalismus schöpft seine politische Kraft vor allem aus der Gier nach den in schottischen Gewässern gewonnenen Ölmilliarden.

Gerade das Ausmaß der britischen Ölabhängigkeit ist inzwischen aber selbst zum Problem geworden. Das Ende des Ölbooms ist abzusehen. Nach amtlichen Angaben könnte Großbritannien schon im kommenden Jahrzehnt wieder zum Nettoimporteur von Energie werden. In diesem Zusammenhang ist, eher noch als in einem plötzlich erwachten ökologischen Bewußtsein, die wachsende Sorge um den ausufernden Autoverkehr und den damit verbundenen Benzinverbrauch zu verstehen. Daß die fetten Jahre endgültig vorbei sind, ist der Hintergrund dafür, daß die Major-Regierung so unpopulär ist wie seit Jahrzehnten keine andere.

Zum Sprengsatz für das Tory- Herrschaftssystem in Großbritannien droht dabei etwas zu werden, das auf den ersten Blick mit dem Öl nichts zu tun zu haben scheint: die nicht enden wollende Kette von Skandalen, die britische Politiker mit illegalen Praktiken beim Rüstungsexport in den Nahen Osten verbindet. Britische Rüstungsfirmen, ermuntert von ihrer Regierung, mästeten in den 80er Jahren arabische Petromonarchien mit Waffen. Erst jetzt wird aber das Ausmaß der Korruption dabei und die Enge der Rüstungskooperation auch mit den offiziell verfemten Regimen in Irak und Iran bekannt. Die regierenden Konservativen begegnen schon jetzt dem noch nicht veröffentlichten amtlichen Untersuchungsbericht zu illegalen britischen Waffenexporten an den Irak – dem „Scott Report“ – mit regelmäßigen Nervenkrisen. Und all das hat mit dem britischen Öl wohl doch sehr viel zu tun. Die britische Aufrüstung der nahöstlichen Ölstaaten zu Vorzugsbedingungen war ja auch eine Art Kompensation für die britische Konkurrenzrolle im Ölgeschäft, die mittels Preisdruck und Angebotserhöhung den Golfstaaten Milliardenverluste bescherte.

Eine Beschmutzung des Öl- Images ist unter diesen Umständen so ziemlich das letzte, was die Briten gebrauchen können. Am Öl hängen alle. Fällt das Öl, fällt das britische Wirtschaftsgefüge und letztlich auch der Wunschtraum eines von vergangenen imperialen Bürden wie drohenden europäischen Verpflichtungen weitestgehend freien Königreiches. Wird die schrottreife Brent Spar – nur die erste von Hunderten zu entsorgenden Ölförderanlagen – zum Symbol der verflossenen goldenen Jahre, des sorglosen Lebens von der Substanz? Man kann jedenfalls schwerlich erwarten, daß die Zerlegung der Quellen des vergeudeten britischen Meereswohlstands bei den Insulanern auf Begeisterung stößt. Dominic Johnson