Die letzte deutsche Wiedervereinigung

Heute stimmen die Parlamente von Berlin und Brandenburg über die Fusion der beiden Länder ab /Trotz Gegenstimmen gilt die Zweidrittelmehrheit für die Länderehe als sicher  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Für eine ihrer letzten großen Amtshandlungen hat Berlins scheidende Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien vorgesorgt. Nichts soll schiefgehen, wenn heute Nachmittag das Berliner Abgeordnetenhaus und der Landtag in Potsdam zeitgleich über die Länderehe entscheiden. Weil sich manche Parlamentarier mit der Bedienung der teuren Abstimmungsmaschine schwertun, wurde kurzerhand die Aufstellung von Urnen angeordnet. Gute alte Papierkarten statt teurer Elektronik – die resolute Christdemokratin geht diesmal auf Nummer Sicher.

In beiden Landesparlamenten wird eine Zweidrittelmehrheit gebraucht – ansonsten landet der Staatsvertrag im Altpapiercontainer. Während in der Hauptstadt die 76köpfige SPD-Fraktion vorbehaltlos Zustimmung signalisierte, beackerte der CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky in den letzten Wochen die Fusionsgegner unter den 100 CDU- Abgeordneten – nach internen Schätzungen bis zu 40. Den Mund fusselig redete sich auch Brandenburgs SPD-Fraktionschef Wolfgang Birthler. Immerhin konnte er die Front der Nein–Sager in der 52köpfigen Fraktion von ursprünglich elf auf fünf minimieren.

Vierundzwanzig Stunden vor der historischen Entscheidung wurde in beiden Parlamenten Optimismus verbreitet. Die notwendigen 59 von 88 Stimmen in Potsdam und 161 von 241 in Berlin seien sicher. Nicht zuletzt dank der Opposition. Sowohl die Brandenburger CDU als auch die Bündnisgrünen und die FDP in Berlin wollen dem Staatsvertrag mehrheitlich ihren Segen geben. Zur Statistenrolle degradiert wird wohl oder übel die PDS, die in beiden Ländern von Anbeginn gegen die Fusion war und aus eigener Kraft die Zweidrittelregelung nicht torpedieren kann. Die Abstimmung ist auch ein Testfall für die Regierungsspitzen beider Länder. Trotz harscher Kritik hielten sowohl Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) als auch Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) während der dreijährigen Verhandlungen am Projekt fest. Die eigentliche Arbeit an dem als „Meisterwerk des Kompromisses“ apostrophierten Staatsvertrag steht noch an. Geschickt wurden eine Reihe von Details für das künftige Sechs–Millionen–Land in die Zukunft geschoben: Wer künftig welche Funktionen übernimmt, ob die teuren Kulturstätten der Hauptstadt vom gemeinsamen Land oder der dann kreisfreien Stadt finanziert werden ist ebenso offen, wie der Abbau des aufgeblähten Personalapparats beider Länder von über 250.000 auf 159.000 Landesbedienstete.

Vertrackt ist die Lage vor allem für Diepgen, der als Spitzenkandidat seiner Partei in die Abgeordetenhauswahlen im Herbst zieht. Je mehr renitente CDU-Parlamentarier sich heute verweigern, umso irreparabler der Imageverlust. Mit einer kruden Mischung aus Faktenhuberei und Angstmacherei suchten die christdemokratischen Fusionsgegner den Konfrontationskurs zu Diepgen. Mal wurde vor stasibelasteten Lehrern aus Brandenburg gewarnt, dann wieder die Schuldenlast des gemeinsamen Landes an die Wand gemalt. Hinter den Klagen versteckt sich auch die Sorge vor einem realen Machtverlust. Denn Berlin-Brandenburg ist für manche in der Berliner Union ein Synonym für Daueropposition in einem von SPD, PDS und Bündnisgrünen dominierten Land. Doch die Vorbehalte scheinen bei den Berlinern immer weniger Anklang zu finden. In allen Umfragen spricht sich mittlerweile eine Mehrheit von rund 60 Prozent für das gemeinsame Land aus. Selbst eine CDU- interne Urbefragung, an der sich rund ein Drittel der 15.000 Berliner Mitglieder beteiligte, stärkte Diepgen den Rücken: 75 Prozent waren demnach für die Fusion. Ausgerechnet Berlins CDU-Fraktionschef Klaus- Rüdiger Landowsky versuchte in den letzten Tagen, seine Mannschaft auf ein Ja einzuschwören. Der Diepgen-Intimus hatte zuvor am eifrigsten gegen die Fusion agitiert. Allerdings wurde nie so recht klar, ob es sich nicht um eine gewiefte Taktik handelt, getreu dem Motto: Vorher die Emotionen hochpeitschen, am Tag X sich aber staatstreu zeigen. Sich selbst legte Landowsky sprachliche Selbstdisziplin auf: Sein Ziel sei nicht die Geschlossenheit der Fraktion, sondern möglichst Schaden von Diepgen abzuwenden. Zugleich ließ er durchblicken, jeder müsse wissen, „was er tut“. Das klang nach freier Gewissensentscheidung, war aber unterschwellig als Drohung gemeint. Indirekt empfahl er sich selbst als Vorbild: Mit Ja zu stimmen und den weiteren Werdegang der Bevölkerung zu überlassen.

Auch wenn heute der Fusionsvertrag angenommen wird, ist nur eine Zwischenetappe erreicht. Am 5. Mai nächsten Jahres sollen die Bürger in einer Volksabstimmung nicht nur über die Länderehe, sondern auch über deren Beginn, 1999 oder 2002, entscheiden. Jeweils 25 Prozent der Wahlberechtigten in jedem Land müssen zustimmen. Fusionsgegnern wie dem Berliner Parlamentsvizepräsidenten Reinhard Führer bleibt also noch ausreichend Zeit, die „Herzen der Bevölkerung“ umzustimmen.