Wenn mein Körper mich im Stich läßt

■ "Ich werde mein Land nicht als Staatsgast besuchen, was stellen die sich vor? Aber die Sprache rächt sich an mir, je älter ich werde, umso öfter träume ich auf rumänisch. Und ich kann mich nicht...

Jedesmal, wenn die Zeit mich foltert, sage ich mir, daß einer von uns beiden zerspringen muß, daß es nicht möglich ist, endlos in diesem grausamen Auge- in-Auge zu verharren ...“, schreibt E. M. Cioran.

Nun ist er da, der Tod, dem Cioran mit der präzisesten, schärfsten Schneide der Sprache das Sagen verwehrt hat. Und wenn sich ein Tod vor seiner eigenen Absicht jemals hat fürchten müssen, dann wird es wohl diesmal gewesen sein. Er wird es schwer haben zu bestehen vor einem Menschen, der ihm den Schrecken so souverän genommem hat. Der die Lebenstüchtigkeit verwandelt hat zur Kunst des Scheiterns.

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1911 wurde E. M. Cioran in Rumänien als Sohn eines rumänischen Pfarrers geboren. Geburt und Tod zu begleiten war dem Vater ein Beruf. Und die Selbstverständlichkeit des Verlierens und Sterbens war Umgebung überall dort, wo Menschen versuchten zu leben.

Auf der einen Seite stand das hilflose Leben aus einer lauernden Umgebung, aus schonungslosem Aberglauben und abgründig poetischer Folklore. Auf der anderen Seite stand das glatte Gebet, bedingungslos knieend vor Gott. Dieses Knäuel hat Cioran im Kopf mitgenommen, als er 1937 nach Paris ging, um zu studieren. Und mitgenommen hat er, wie das Leben stolpert am Rande des Gebets. Wie dabei nichts gesagt, nichts gefragt werden muß, weil es das Scheitern und den Tod gibt – einfach so.

Dieses Land hat Cioran nie mehr betreten, die Türen der Vereinnahmung, durch welche immer die Falschen, die Landsleute, kommen, hat er bewußt zugeschlagen. Die rumänische Sprache hat er im Schädel innen ausgeklammert und sich nach außen hin verboten.

Als Staatsgast eingeladen nach dem Sturz Ceaușescus, sagte er: „Ich werde mein Land nicht als Staatsgast besuchen, was stellen die sich vor? Aber die Sprache rächt sich an mir, je älter ich werde, um so öfter träume ich auf rumänisch. Und ich kann mich nicht dagegen wehren.“ In Frankreich blieb Cioran staatenlos; er nahm das Angebot der französischen Staatsbürgerschaft nie an.

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Und dennoch, als ich zum ersten Mal in Paris und nur zu Besuch war, suchte er mich. Und einer der Gründe dafür, vielleicht sogar der wichtigste, war, daß an mir dieses Land des allseitigen Scheiterns hing. Wenn er etwas verbieten könne, sagte er, würde er meine Rückkehr verbieten. Er sprach von der besinnungslosen Vergeudung jeder Substanz, von seiner Jugend und all den zerbrochenen Existenzen dieser Jahre. Von seinem Freund, der nur noch trank, anstatt – begabt, wie er war – Literatur zu schreiben. Von dem offenen Fenster, an dem die beiden mitten in der Nacht gestanden hatten. Auf die Vorwürfe Ciorans sagte der Betrunkene in den sternblitzenden Himmel hinaus: „Gott, vergib mir, daß ich Rumäne bin!“

Bevor wir uns trafen, war Cioran durch einen Park gegangen und auf dem vereisten Weg gestürzt. Sein Knie war verletzt. Aber er sah nicht den vereisten Weg als Grund für den Sturz. Er sagte, nachdem das Taschentuch, das er gar nicht haben wollte, um das Knie gebunden war: „Ich suche Sie, und schon stürze ich, schon bin ich Rumäne.“

Diese Last hat Cioran wie kein anderer abgelegt. Aber behalten hat er sich den individuellen Rückgriff, in dem die Dinge, auf ihr Eigenstes gebracht, nicht mehr zu erkennen sind. Er lebte in der Distanz der zerschnittenen Nähe. Und in der durchdachten Verweigerung vor dem Gebrauch des Menschen. Diese ist radikalste Konsequenz einer jugendlichen politischen Verirrung – der Sympathie für den rumänischen Faschismus, dem er, wie viele rumänische Intellektuelle jener Zeit (auch Mircea Eliade), in dem Buch „Schimbarea la faţa a RomÛniei“ („Der Gesichtswandel Rumäniens“, 1937) das Wort geredet hatte.

Nur der Weggang und danach das Aussperren des Mitgebrachten, sagte E. M. Cioran, habe ihn davor bewahrt, in der Menge, kollektiv, zu scheitern. Nur ganz auf sich selbst gestellt, konnte er das Scheitern für sich in Anspruch nehmen, ihm die Sinnlosigkeit ins Gesicht schreiben, die es immer zu verstecken trachtet, um uns zu überfallen.

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In die Sinnlosigkeit allen Tuns hatte Cioran sich längst eingeübt. Der Lebensekel war sein Hunger darauf. Aber das Altern wurde durch seine fortschreitenden physischen Gebrechen für den rücksichtslos gegen sich selbst gerichteten, intakten Verstand ein Skandal.

Auch wenn Cioran den jungen Körper, wie er einmal war, den funktionierenden Rhythmus der Tätigkeiten verachtete, wurde die Mühe des Alterns zur Demütigung. Die letztlich aus jedem über den Tod geschriebenen Satz gewonnene menschliche Integrität Ciorans machte es ihm schwer, das Zerbrechen der körperlichen Routine vor Augen, vor die Augen der anderen zu führen. Was man so gerne hingenommen hätte, vergrößerte er im Wort. Er machte darauf aufmerksam, ohne zu klagen. Man sollte es wissen, bevor man zu etwas anderem im Gespräch überging: Da steht einer, dessen Beine schleppen, statt zu tragen, dessen Hände vertropfen, statt ins Glas zu gießen, dessen Mund beim Essen den Bissen fallen, läßt statt zu schlucken. Cioran bestand darauf, das nicht zu übersehen. Er bestand darauf, weil er schonen wollte durch die einzige Art, in der Schonung gültig bleibt: Man schaut klar in das hinein, was Schonung nötig macht.

In solchen Augenblicken lag der Satz Ciorans: „Wenn mein Körper mich im Stich läßt, frage ich mich, wie ich mit einem solchen Aas gegen die Abdankung der Organe kämpfen soll ...“ sichtbar auf dem Tisch. Man griff nach dem Glas und faßte diesen Satz an. Herta Müller