„Alles geht den Bach runter“

Seit dem UN-Abzug aus Somalia streiten die Clans wie gehabt um Geld und Einfluß / General Aidid wird Auslaufmodell / Kehrt der Hunger zurück?  ■ Von Bettina Gaus

Nairobi (taz) – Als der deutsche Tierarzt Joachim Politz kürzlich in das somalische Dorf Eil Ali kam, fand er sich plötzlich unerwartet zehn Polizisten gegenüber. Die standen stramm, Hand an der Mütze, und nach kurzer Pause der Ratlosigkeit auf beiden Seiten fragte schließlich der Kommandeur hoffnungsvoll: „Ja, und wo ist jetzt das Geld?“

Die Gesetzeshüter hatten Pech. Politz reiste im Auftrag der Europäischen Union umher, um Somalias Viehbestand zu ergründen. Gehälter für Polizisten hatte er nicht im Gepäck. Die UNO hatte einst den Aufbau der Polizei in Somalia als großen Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung gerühmt – nach dem Abzug der Blauhelme sind die Ordnungskräfte jetzt seit mehr als drei Monaten nicht bezahlt worden. „Mir ist erzählt worden, daß in Baidoa die Polizisten ihre Stiefel verkaufen. Die haben eben nichts, und da geht alles den Bach runter“, sagt Sigurd Illing, Sonderbeauftragter der Europäischen Kommission für Somalia.

Es ist nur wenig übriggeblieben von der im März beendeten Somalia-Mission der UNO: Von der Schule in Belet Huen, um deren Aufbau sich zunächst kanadische und später deutsche Soldaten bemüht hatten, stehen nur noch einige Grundmauern, Folge des Machtkampfes zweier Großclans. Das Krankenhaus, in dem deutsche Feldärzte vor Fernsehkameras Patienten behandelt hatten, steht leer: Betten und Instrumente sind geplündert worden.

Sigurd Illing setzt sich jetzt dafür ein, daß die EU gemeinsam mit dem UNO-Welternährungsprogramm WFP den öffentlichen Dienst in Somalia unterstützt – Polizisten, Lehrer, Ärzte und Justizangestellte. Gedacht ist an Nahrungsmittel im Gegenwert von 50 Dollar pro Person und Monat für höchstens ein Jahr. „Das Programm soll die regionalen Autoritäten in die Lage versetzen, ihren Leuten irgend etwas zu geben, bis sie ein eigenes Steueraufkommen organisiert haben“, erklärt Illing. Doch eine Entscheidung vom WFP-Hauptquartier in Rom steht noch aus. Teile der US-Administration sind gegen das Projekt, obwohl sie in diesem Fall gar nicht zu den Geldgebern gehören. „Das Interesse an Somalia hat unendlich abgenommen“, meint Illing. „Es gibt entweder gar keine Budgets mehr oder ganz kleine. In den Zentralen ist der Eindruck entstanden, das sei eben rausgeschmissenes Geld.“

Vor dem Abzug der ausländischen Truppen hatten UNO-Sprecher stets betont, es sei keinesfalls daran gedacht, Somalia im Stich zu lassen. Die Realität sieht anders aus. Die lokalen Autoritäten, die sich gemäß den UNO-Vorstellungen in einigen Provinzen Somalias gebildet haben, erhalten ebenso wie besonders bedürftige Gruppen der Bevölkerung nur noch einen Bruchteil der Unterstützung von früher. Das WFP liefert gerade noch ein Drittel der Nahrungsmittel, die es vor dem Abzug der Blauhelme nach Somalia gebracht hatte. Offizielle Begründung: Sicherheitsprobleme beim Transport. Tausende von Kriegsvertriebenen in Mogadischu und im Landesinneren sind jetzt wieder weitgehend sich selbst überlassen.

Mit den UNO-Truppen verließen auch fast alle ausländischen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen das Land, Tausende von Somalis sind dadurch arbeitslos geworden und haben jetzt so gut wie keine Einkommensmöglichkeiten. Bewaffnete Banditen, deren Jagd nach Beute immer mühsamer wird, gehen nun dazu über, Somalis, bei denen sie Geld vermuten, zu entführen oder zu ermorden.

Kriegsfürsten beteiligen sich an Plünderungen. Das WFP-Lagerhaus in der südlichen Hafenstadt Kismayo wurde letzte Woche vollständig ausgeraubt, Nahrungsmittel im Wert von 75.000 Dollar wurden gestohlen. Zeugen berichteten, General Morgan, der Schwiegersohn des früheren Präsidenten Siad Barre, habe die Aktion persönlich geleitet. Das WFP hat nun sein Büro in Kismayo geschlossen.

Also alles wie gehabt? Die Situation in Somalias Hauptstadt Mogadischu erinnert an die Lage vor dem Einmarsch ausländischer Truppen – rivalisierende Fraktionen streiten um die Macht. Osman Ato, über Jahre hinweg Hauptgeldgeber von Farah Aidid, hat sich von dem Kriegsfürsten getrennt und sich auch zum neuen Vorsitzenden von Aidids Organisation wählen lassen. Im Gegenzug ließ sich Aidid jetzt von seinen verbliebenen Anhängern zum Präsidenten ausrufen, ernannte ein Kabinett und erhob Anspruch darauf, Somalia bei den Vereinten Nationen und der Organisation für Afrikanische Einheit zu vertreten. Kommentar beider Organisationen: „Kommt nicht in Frage.“

Doch entgegen dem Augenschein stellt diese Entwicklung einen grundlegenden Wandel dar. Es ist logisch, daß Osman Ato die Fronten gewechselt hat und jetzt mit Aidids Erzrivalen Ali Mahdi verhandelt: So lange viele Hilfsgüter nach Somalia kamen, ließ sich an Krieg gut verdienen – jetzt lassen sich nur noch Geschäfte machen, wenn die Lage einigermaßen stabil ist. Kriegsfürsten wie Aidid, die ihre Macht vor allem auf bewaffnete Buschkämpfer stützen, verlieren deshalb an Boden gegenüber Fraktionschefs wie Ali Mahdi, der von somalischen Geschäftsleuten unterstützt wird.

Wenn allerdings gar keine strukturelle Hilfe ins Land kommt, werden sich nach Einschätzung von Beobachtern stabilisierende Institutionen bald völlig auflösen, und das Blatt kann sich erneut wenden. Vor dem Abzug der UNO hatten sich rivalisierende Gruppierungen auf die gemeinsame Verwaltung des Hafens von Mogadischu geeinigt: Der Hafen liegt im Einflußbereich von Aidid, kann aber jederzeit von dem höherliegenden Gebiet Ali Mahdis aus beschossen werden. Entgegen den Erwartungen vieler Beobachter hielt das Abkommen mehrere Wochen lang. Handelsschiffe kamen nach Mogadischu, die Güter erreichten alle Stadtteile. Dennoch aber kehrten ausländische Helfer nicht in die Hauptstadt zurück, obwohl Sprecher der internationalen Organisationen die Rückkehr angekündigt hatten, sobald die Sicherheitslage das erlaube. In jüngster Zeit kam es nun mehrfach zu Scharmützeln am Hafen, der immer wieder für einige Tage geschlossen wurde.

Das hat Auswirkungen auf das ganze Land: „Wenn der Hafen geschlossen ist, entsteht im Landesinneren Panik“, erklärt Andrew Marshall vom WFP. „Die Preise schießen sofort in die Höhe.“ Eine schlechte Ernte verschärft die Lage. Sorghum kostet derzeit mehr als doppelt soviel wie vor zwei Monaten. Aus einigen Landesteilen und aus Mogadischu wird wieder eine steigende Zahl von unterernährten Kindern gemeldet.