John Major springt von der Folterbank

■ Britischer Premier tritt als Parteivorsitzender der Torys zurück

Dublin (taz) – Der britische Premierminister John Major hat gestern abend um 18 Uhr seinen Rücktritt als Tory- Parteiführer bekanntgegeben. Gleichzeitig stellte er klar, daß er wieder für das Amt kandidieren werde. „Falls ich verlieren sollte, womit ich nicht rechne“, sagte Major, „werde ich als Premierminister zurücktreten und meinem Nachfolger meine volle Unterstützung gewähren.“

Er sei nunmehr seit fast fünf Jahren Premierminister, sagte Major in seiner Rücktrittsrede. In den vergangenen drei Jahren habe eine kleine Minderheit gegen ihn opponiert, meinte Major, doch die Drohungen einer Gegenkandidatur hätten sich stets als Schwindel herausgestellt. Da es in diesem Jahr wieder dasselbe sei, wolle er nicht bis zum Parteitag im Herbst warten, weil die Ungewißheit der Partei schaden würde. Er wolle die Partei nicht länger auf die Folterbank sehen, erklärte Major weiter, und den innerparteilichen Unruhen ein Ende setzen. Die Wahlen zum Parteivorsitz sollen am 4. Juli stattfinden.

Das erste Kabinettsmitglied, das sich nach dem Rücktritt äußerte, war Landwirtschaftsminister William Waldegrave, der tief in den Waffenschmuggel mit Irak verwickelt sein soll. „Das ist ein mutiger Schritt, wie er typisch für John Major ist“, sagte Waldegrave am Abend. Der Tory- Rechtsaußen und ehemalige Parteivorsitzende Norman Tebbit sagte, er hoffe, daß Major mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt werde. Offenbar hatte eine Äußerung von Marcus Fox zu Majors Entscheidung beigetragen. Der einflußreiche Vorsitzende des Hinterbänkler-Komitees von 1922 hatte am Vormittag gesagt, daß eine „radikale Kabinettsumbildung“ vonnöten sei. Freilich hat er damit nicht den Premierminister gemeint.

Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, daß Majors Flucht nach vorne mit seiner Wiederwahl belohnt wird. Möglich ist aber auch, daß der von Major geschaßte Schatzkanzler Norman Lamont, einer seiner ärgsten Widersacher, als „stalking horse“ — ein Gegenkandidat ohne echte Wahlchancen — antreten will. Sollte Lamont, eine Gallionsfigur des rechten Parteiflügels, im ersten Wahlgang 80 bis 90 Stimmen erhalten, wäre der Gesichtsverlust für Major wohl zu groß, als daß er weitermachen könnte. Im zweiten Wahlgang wäre der Weg dann frei für einen „richtigen“ Gegenkandidaten — Industrieminister Michael Heseltine? Ralf Sotscheck