Alles im Lot auf'm Boot

■ Zahlen, Zahlen, Zahlen! Nichts Neues auf dem Kölner Medienforum

„Das Fernsehpublikum ist keine unbekannte Größe“, heißt es im Vorwort einer Studie, die im Auftrag des NRW-Frauenministeriums das TV-Publikum erforscht hat. Praktisch jede Zielgruppe sei bereits demoskopisch durchleuchtet, ob West oder Ost, ob Jung oder Alt – nur die geschlechtsspezifische Komponente des Fernsehkonsums habe bisher niemand ins Blickfeld genommen. Weshalb NRW-Ministerin Ridder-Melchers die Studie „Rezeption von Sexismus und Gewalt im Fernsehen“ in Auftrag gab. Selbstverständlich repräsentativ wurden die ZuschauerInnen nach ihren Rezeptionswünschen befragt. Repräsentativ war auch das jüngst veröffentlichte Ergebnis: Besonders Frauen wünschen sich mehr starke, souveräne Frauenfiguren und weniger Sexismus und Gewaltdarstellungen. Das ahnten wir schon. Aber jetzt wissen wir es. Selbstverständlich repräsentativ.

Gleich drei Veranstaltungen des diesjährigen Kölner Medienforums propagierten einen neuen Diskurs über das Fernsehen. In den ersten wilden Gründerjahren des Dualen Systems hatten die neuen Privatanbieter wie Helmut Thoma (RTL) oder Georg Kofler (Pro 7) auf dem Medienforum ihre großen Auftritte gehabt. Auf illuster besetzten Podien erklärten sie, künftig einfach alles anders zu machen. Und die alten Bildschirmherren Stolte (ZDF) und Plog (ARD) hielten ihre ebenfalls hausgemachte Strategie dagegen, einfach alles weiter zu machen wie bisher. Dann änderten sich Zuschauergewohnheiten, und die Keule der GfK-Quoten kam über uns. Nun erkärten die Programmverantwortlichen der Privatsender, warum ihre Reichweite die größere und die Programmverantwortlichen von ARD und ZDF, wieso ihre Qualität die bessere war. Jetzt, Mitte der Neunziger, ist auch das geklärt. Das Volk guckt lieber privat, ARD und ZDF haben ihre gigantischen Monopolquoten längst eingebüßt. Nun also wird die Diskussion noch eine Etage weiter nach unten verlegt. Nicht mehr die großen Worte der großen Namen, auch nicht mehr die mittleren Chargen sind gefragt. Unabhängige Sachverständige erforschen nun, was die Privaten falsch und Öffentlich-Rechtlichen richtig machen. Wieder sind Zahlen gefragt. Nur andere eben.

So hat die Landesmedienanstalt NRW jüngst eine Studie zum Thema „Werbung und Kinder“ vorgestellt. Auch hier erstaunt das zentrale Ergebnis bestenfalls den Fachmann, nicht aber den Laien: „Vorschulkinder können nur unzureichend Werbung vom Programm unterscheiden.“ Anders als beim Special 2 des Medienforums, „Rote Karte für Sex und Gewalt im Fernsehen“, wo die am Eingang verteilte Studie noch von der Forscherin Jutta Röser mündlich referiert wurde, setzte man beim Special 7, „Werbung! kauft! Kinder!“, die Lektüre des Forschungsberichts selbstbewußt voraus. Klaus Neumann-Braun lenkte in seinem Vortrag das Augenmerk vor allem auf die medienöffentliche Rezeption der Ergebnisse. Einiges sei falsch zitiert, vieles mutwillig mißverstanden worden, rügte der Professor und mahnte eine sachdienlichere Diskussion an.

Das zielte – Eingeweihte freuten sich schon auf das anschließende Podium – vor allem auf Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), der die Zahlen der Studie bereits pressewirksam umgedeutet hatte: Immerhin, so sein Zahlenspiel, würden doch nach den Ergebnissen der LfR-Studie 61,9 Prozent der 4- bis 6jährigen und 82,0 Prozent der 7- bis 10jährigen durchaus zwischen Werbung und Programm unterscheiden können! Natürlich hatte auch Nickel dem Auditorium ein Papier mit allerlei Grafiken bereitgelegt.

Nein, das TV-Publikum ist wahrlich keine unbekannte Größe mehr. Soviel hat dieses Medienforum gezeigt. Nur hilft das neue demoskopische Material dem Diskurs über das Fernsehen immer noch wenig. Der anschließende Schlagabtausch zwischen den Podiumsteilnehmern verdeutlichte das wortreich – aber wenig sachdienlich. Da lobte sich der neue „Nickelodeon“-Betreiber Peter Hille selbst, indem er auf seinen freiwilligen Werbeverzicht von vier Minuten pro Stunde verwies, um sich dann von Christophe Erbes (Super RTL) sagen zu lassen, daß man dies bei seinem Sender längst so handhabe. Im übrigen seien die rechtlich gestatteten 12 Minuten Werbung angesichts des zunehmenden Konkurrenzdrucks außerhalb der Vorweihnachtszeit auch kaum akquirierbar. Siegmund Grewenig, beim WDR unter anderem für den „Käpt'n Blaubär Club“ verantwortlich, betonte die ehrenvolle Distanz seines Senders zu jeder Art von Kinderwerbung im kritisierten Merchandising- Verbund und wurde von Peter Hille und Christophe Erbes mit dem Hinweis ausgekontert, immerhin kooperiere der WDR mit der Spielwarenfirma Ravensburger, die doch eine Käpt'n-Blaubär- Puppe in Lizenz vertreibe. „Aber nur, weil die Kinder das unbedingt wollen!“ meinte Grewenig verschnupft. Womit er das Problem endlich eingekreist hatte.

Während man im Saal „Heumarkt“ noch darüber diskutierte, ob und wie eine präzisere Kennzeichnung der Werbeblöcke (z.B. durch den eingesprochenen Hinweis „Werbung!“ und ein zusätzliches Signal am Ende) die Kinder künftig besser schützen könnte, tagte im Keller des Hotels Maritim eine weitere Runde zu ähnlichem Thema. „Kinder und Jugendprogramme: Qualitätsverlust oder neue Qualität?“ hieß es im Saal Köln, und nicht ohne Grund leitete die Veranstaltung die WDR-Medienforscherin Claudia Schmidt. Denn auch diesem Thema liegt eine repräsentative Studie der Medienforschung zugrunde: Die Wissenschaft hat festgestellt, daß Kinder und Jugendliche am liebsten das gucken, was auch die Erwachsenen sehen: Spielfilme.

Das hat die ARD derart beeindruckt, daß man die Jugendprogrammschiene im Ersten kurzerhand abwickelte. „Moskito“-Redakteurin Meyen Wachholz blieb nun also kaum mehr, als wiederum mit den Zahlen der Medienforschung zu beweisen, daß die Jugendquote ihres nun abgewickelten Magazins immer noch über den Zahlen der anderen ARD-Programme liegt. Helfen wird ihr das nicht mehr. Morgen startet die letzte Staffel des letzten ARD-Jugendmagazins. Nur bei Käpt'n Blaubär ist noch alles im Lot. Die Quoten stimmen, das Merchandising läuft. Weil die Kinder das so wollen. Jedenfalls hat die Wissenschaft bislang nichts Gegenteiliges festgestellt. Klaudia Brunst