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Kunsthaus als Werkbank

■ Wer nichts hat, bekommt auch nichts dazu: Berlins Künstlerhaus Bethanien droht trotz seines internationalen Kunst-, Regie- und Theaterprogramms der Konkurs

Heute steigen die Kunst- und Hauptstadtfreunde für zwei Berliner Institutionen in den Ring. Die unter der Schirmherrschaft von Heiner Müller, A.R. Penck sowie dem namengebenden Boxsportler Axel Schulz stattfindende Kunstauktion „Durchboxen“ soll dem Künstlerhaus Bethanien (dem Kreuzberger „Kunstkloster“) gemeinsam mit der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg helfen, den Abbau der Senatsgelder ein wenig zu kompensieren. Die Auktionarin Irene Stoll von Sotheby's Zürich ruft im Haus des Berliner Ensembles die in einer Solidaritätsaktion von Künstlern und Galerien gespendeten Kunstwerke auf. In einem leerstehenden Krankenhaus wurde das Künstlerhaus Bethanien vor zwanzig Jahren vom Berliner Senat als GmbH gegründet, deren Gesellschafter die Akademie der Künste und das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) sind. Das Bethanien mit Geschäftsführer Dr. Michael Haerdter und Christoph Tannert als Projektleiter für den Bereich bildende Kunst zeigt sich angeschlagen, aber noch nicht ausgezählt.

taz : Die „Durchboxen“-Aktion ist offensichtlich eine doppelgleisige Angelegenheit. Sie soll ebenso sehr der Publicity dienen, wie dem Geldeinfahren, dem ersteren vielleicht noch mehr?

Christoph Tannert: Ja, es ist eine PR-Aktion, um kulturpolitisch möglichst weit auszustrahlen. Wir merken immer wieder, daß da in Berlin ein Defizit besteht, auch bei der Politik. Wir werden international so stark angefragt, in Berlin selbst müßte uns die Politik aufmerksamer wahrnehmen.

Ein Fehler der Hauspolitik, oder was steht dagegen?

Christoph Tannert: Wir sind nicht in erster Linie ein Ausstellungsinstitut, sondern der Kernpunkt des Hauses ist das Residenzprogramm. Wir investieren in die Künstler, die hier herkommen, nicht unbedingt in das Produkt. Wir geben ihm oder ihr ein sichere Grundlage, auf der jeder für sich arbeiten kann, jeder seinen abgeschlossenen Raum hat, für ein Jahr. Und am Ende muß er oder sie sich nicht unbedingt als strahlender Event darstellen. Wenn etwas entsteht, zeigen wir das, aber wir machen nicht in erster Linie repräsentative Projekte. Das ist eine Schwierigkeit, die wir haben, uns nach außen hin darzustellen. Man kann nicht von uns erwarten und nachfragen, wann macht ihr wieder einmal eine herausragende Ausstellung. Das ist nicht unsere Aufgabe als Künstlerhaus.

Zurück zum Geld. Dem Künstlerhaus Bethanien steht, wie vielen anderen Berliner Kultureinrichtungen, der finanzielle Abbau bevor. Gestern fand eine Gesellschafterversammlung statt, wie stellt sich die Situation dar?

Michael Haerdter: Die Gesellschafter haben sich für uns stark gemacht. Sie haben in Übereinstimmung mit der für uns zuständigen Senatsverwaltung und dem für uns zuständigen Referenten festgestellt, ich zitiere: „daß das Künstlerhaus Bethanien in Anbetracht seiner Bedeutung für die Kunstszene der Hauptstadt Berlin, seiner internationalen Vernetzung und seines Standortes wegen unbedingt zu erhalten ist.“ Aber es folgt auch, „unbeschadet der Forderungen der Gesellschafter, daß der Senat das Künstlerhaus Bethanien mit ausreichenden Betriebsmitteln unterstützt, müssen in der augenblicklichen Lage die folgenden haushaltstechnischen Notmaßnahmen ergriffen werden ...“

Was heißt das konkret?

Michael Haerdter: Wir werden eine Kostenrechnung bis Ende des Jahres vorlegen, auf den voraussichtlichen Stand bis zum 31. Dezember 95. Wir müssen unsere Verbindlichkeiten darlegen, Zahlungszwänge, aus denen wir nicht herauskommen, über Verpflichtungen, die wir eingegangen sind gegenüber den Künstlern, die gemeldet sind, die auch eine Zusage über eine Veranstaltung hier haben, mit Werbung, Pressearbeit und Einladungskarten. Wir können das Telefon nicht auf Null stellen, aber wir fahren ein Notprogramm, das es uns erlaubt zu überleben; das uns nicht zwingt, das Haus dicht zu machen. Wir haben durch die regelmäßigen Schnitte, die wir in den letzten zweieinhalb Jahren hinnehmen mußten, einen Verlustvortrag von 80.000 Mark aus dem vergangenen Jahr. Diese Summe läßt sich gerade noch mit den hier vorhandenen Dingen, Kunstwerken, die wir haben, ausgleichen. Aber wenn wir keine Entschuldung durchkriegen, könnte es kritisch werden. Es ist möglich, daß wir als GmbH den Konkurs anmelden und das Haus dicht machen müssen.

80.000 Mark scheinen keine Summe zu sein für so gravierende Folgen?

Christoph Tannert: Es geht schon um das Defizit von rund 3.500 Mark für Paul McCarthys "Tomato Head". Wir hatten dafür kein Geld und müssen uns noch immer bemühen, diese 3.500 Mark nachträglich hereinzuholen. Mit der Auktion könnte sicherlich dieser ausstehende Betrag gedeckt werden. Aber man muß mit der Nase an den aktuellen Kunstprozesssen sein, sonst braucht man sich in der Kunst überhaupt nicht zu melden.

Nun ist die Lage in Berlin insgesamt trübe, und die Situation läßt wenig Spielraum zu. Welche Mittel braucht Bethanien?

Michael Haerdter: Also, was wir haben müssen, ist mindestens ein Stand, wie ich ihn durch Lobbying beim Hauptfinanzausschuß 1992 durchgesetzt habe. Da hatten wir 1,426 Millionen, von dieser Summe sind uns in schöner Regelmäßigkeit seither scheibchenweise die Mittel weggenommen worden, was jetzt einen Rest von 1,136 Millionen Mark übrigläßt. Wir haben einen festen Stamm von zwölf Mitarbeitern, dazu kommen im Einzelfall freie Mitarbeiter, das drückt sich in Zahlen natürlich massiv aus, das sind rund 1 Mio. Mark Personalkosten. Disponibel bleiben dann nur noch die Mittel, die wir für Projekte ausgeben können. Aber genau das braucht einen gewissen Besitzstand, so gering er auch sein mag. Wenn man gar nichts hat, bekommt man nichts, das ist das Problem.

Was kommt da noch wie rein?

Michael Haerdter: Zu den 1,136 Millionen kommen über das Länderprogramm noch 225.000 Mark hinzu, die den Künstlern, die zu uns kommen, von ihren Ländern als Stipendien zur Verfügung gestellt werden. Philip Morris sponsort drei Stipendien für einen deutschen und zwei osteuropäische Künstler mit 150.000 Mark. Vom Freundeskreis Bethanien kommen 20.000 Mark, über die Frauenförderung und andere Töpfe beim Senat kommen noch mal 70.000 Mark, letztes Jahr hatten wir dazu 500.000 Mark Lottomittel. Wir werden dieses Jahr wohl rund 300.000 Mark freie Mittel auftreiben.

Wie funktionieren unter solchen Bedingungen die Programme?

Michael Haerdter: Was im Moment völlig in Frage gestellt ist, ist unserer Regieprogramm, weil die 80.000 Mark, die wir dafür brauchen, nicht da sind. Für das Atelierprogramm sehe ich eine geringere Gefahr als für Regieseminare und das Theater-, Performance- und Filmprogramm. Unsere Regieseminare sind ausgesprochene Ausbildungsprogramme für Profis. Unsere Chance, die wir nutzen, besteht darin, daß wir hochkarätige Filmemacher kriegen – im Programm ist es jetzt zum Beispiel Polanski, der hierher kommt –, weil die sich nicht in eine Schule einbinden lassen, aber bereit sind, für vier Wochen Unterricht zu geben, zu einem bestimmten Thema oder Problem. Im Atelierprogramm haben wir zwanzig Künstler, die hier ihre Arbeitsmöglichkeit haben.

Dieses Residenzprogramm ist stark international orientiert, wie unterscheidet es sich von dem seines Gesellschafters, dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD?

Christoph Tannert: Das DAAD-Programm ist ja ins Leben gerufen worden, um mit bekannten Künstlern in die Mauer- und Ghettosituation von Berlin internationales Flair reinzubringen, um Kontakt zu halten. Wir liegen unter dieser etablierteren Ebene, ohne daß wir so eine Art Laufsteg für die jungen Karnickel wären. Da ist nicht jeder Name geläufig, aber Ricardo Brey zum Beispiel, ein Künstler aus Kuba, der auf der letzten Documenta war, ist jetzt mit Hilfe eines Unesco-Stipendiums hier. Eric Lanz ist einer der bekanntesten Videokünstler der Schweiz, Inghild Karlsen war die norwegische Vertreterin auf der Biennale von São Paulo. Wir haben ein neues Programm für einen russischen Künstler, dessen Stipendium übrigens der Senat bezahlt. Die Künstler bekommen im Anschluß an einen Bethanienaufenthalt plötzlich sehr viel mehr Ausstellungsmöglichkeiten und Einladungen, Olaf Westphalen war erst kürzlich so ein Fall.

Rechtfertigt das internationale Feedback auf diese Grundlagenarbeit den Einstieg in den Ring?

Christoph Tannert: Letztes Jahr haben sich knapp 500 Leute bei uns beworben. Unsere Reputation im Ausland ist zweifellos sehr hoch. Vor zwei Jahren wurde auch das Netzwerk der ungefähr 150 internationalen Künstlerhäuser gegründet, Res Artis. Unser Haus ist im Vorstand, als eines der ersten, das diesen Gedanken Werkbank zu sein, weltweit bekannt gemacht hat. Wir starteten 1973, und 1976 hat sich das PS1 in New York gegründet. So eine Position kann man mit oder ohne Not nicht aufgeben. Interview: Brigitte Werneburg

Die Kunstauktion „Durchboxen“ findet am Sonntag, 25. Juni, 11-15 Uhr im Berliner Ensemble statt. Zu den versteigerten Kunstwerken gehören u.a. Arbeiten von Felix Droese, A.R. Penck, Jörg Immendorf, Marina Abramovic, Rainer Fetting, e. (Twin) Gabriel, Renée Green und Christo.

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