Jung gefreit und noch nicht einmal bereut

■ Rot-grüne Regierung in Sachsen-Anhalt wird ein Jahr alt / CDU schmollt

Magdeburg (taz) – Vor einem Jahr sorgte ein bis dahin unbekannter SPD-Politiker für Schlagzeilen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war SPD-Herausforderer Reinhard Höppner mit 0,4 Prozent Rückstand gegenüber CDU-Ministerpräsident Christoph Bergner nur als Zweiter hervorgegangen. Aber Höpfner zeigte sich kämpferisch. „Das wollen wir doch mal sehen, ob es da nicht noch andere Möglichkeiten gibt“, rief er seinen Anhängern noch am Wahlabend bei der SPD-Party zu. Am nächsten Tag kündigte er an, eine rot-grüne Minderheitsregierung bilden zu wollen; die erste Minderheitsregierung in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte, die vom ersten Tag einer Wahlperiode an regiert.

Selbst Bonner Parteifreunde versuchten zunächst, Höppner ihre Bedenken nahezubringen. Aber der ließ sich auch von den Genossen nicht beirren. „Als Mathematiker verstehe ich von der Quadratur des Kreises eine ganze Menge“, gab er sich zuversichtlich.

Die Zuversicht hat sich im ersten Jahr bestätigt. Sein ursprünglicher Plan, sich die neun an der Mehrheit fehlenden Stimmen im Landtag mal auf der rechten, mal auf der linken Seite zu besorgen, ist zwar wegen des von der CDU eingeschlagenen Kurses der Fundamentalopposition gescheitert. Die PDS erwies sich in der täglichen parlamentarischen Arbeit aber als sachorientiert und kompromißfähig. „Wir mußten uns entscheiden, ob wir eigene Forderungen zurückstellen, um das rot-grüne Reformmodell zu unterstützen“, sagt PDS-Fraktionschefin Petra Sitte, „oder ob wir durch strikten Oppositionskurs die Koalition platzen lassen und damit selbst eine große Koalition mit Betonstrukturen herbeiführen.“

Deshalb zielt CDU-Oppositionsführer Christoph Bergner ins Leere, wenn er zur PDS sagt: „Sie tolerieren doch hier nicht eine Minderheitsregierung, Sie halten sich doch hier eine Regierung, die Sie ganz nach Belieben am Nasenring durchs Parlament ziehen.“

Daß das Magdeburger Modell funktioniert, und wie der bündnisgrüne Bundessprecher, Jürgen Trittin, fast enttäuscht feststellt sogar „eher erschreckend normal“ ist, liegt wohl an der besonderen Zusammensetzung der PDS in Sachsen-Anhalt. Sie ist auf dem besten Weg eine zwar linke, aber dennoch sozialdemokratische Partei zu werden.

Dennoch mieden die Sozialdemokraten zunächst sorgfältig jeden engen Kontakt zu den SED- Nachfolgern.

Wanderer zwischen den Welten wurde der bündnisgrüne Fraktionschef Hans-Jochen Tschiche. Immer wenn es zwischen der Koalition und der PDS hakt, läuft sich Tschiche auf den langen Landtagsfluren zwischen den Fraktionsräumen die Absätze schief, um zu vermitteln, und tatsächlich gelang es ihm bislang immer wieder, teilweise in letzter Minute, den erlösenden Kompromiß herbeizuzaubern. Wie bei den Beratungen um den Haushalt des Verfassungsschutzes: 131 Planstellen wollte SPD-Innenminister Manfred Püchel 1995, die PDS forderte die Abschaffung des Geheimdienstes. Am Konflikt drohte der gesamte Haushalt 1995 zu scheitern. Tschiche fand schließlich die salomonische Formel: 131 Planstellen, aber in den kommenden drei Jahren Abbau um jeweils 17 Stellen. Püchel hatte seinen Willen, die PDS konnte den Kompromiß ihrer Klientel als Einstieg in den Ausstieg verkaufen, das Magdeburger Modell blieb stabil. Eberhard Löblich