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■ Ab kommenden Montag ist es in Paris wieder öffentlich zu sehen: Gustave Courbets Gemälde "L'Origine du Monde". Davor liegt eine Geschichte der Skandalisierung und Abwehr, der rhetorischen Ver- und liebhaberischen...Die Möse im Kabinett

Ab kommenden Montag ist es in Paris wieder öffentlich zu sehen: Gustave Courbets Gemälde „L'Origine du Monde“.

Davor liegt eine Geschichte der Skandalisierung und Abwehr, der rhetorischen Ver- und liebhaberischen Enthüllung.

Die Möse im Kabinett

Auf der großen Retrospektive des Jahres 1977 im Pariser Grand Palais war das Werk nicht zu sehen. „Es ist einfach kein gutes Bild“ befand Helène Toussaint, die für die Ausstellung verantwortliche Kunsthistorikerin. Doch das Publikum sollte nicht nur vor Kunst unter Niveau bewahrt werden. Das beweisen zwei Vorfälle, die sich im Frühjahr 1994 in den französischen Provinzstädten Besançon und Clermont-Ferrand zutrugen. Dort erzwang die örtliche Polizei die Entfernung eines Buches, auf dessen Umschlag das Werk reproduziert war, aus den Vitrinen zweier Buchhandlungen. Gegenstand dieser polizeilichen wie kunsthistorischen Schutzmaßnahmen ist „L'Origine du Monde“, ein Gemälde des großen Realisten Gustave Courbet aus dem Jahr 1866. Dargestellt ist ein weiblicher Akt, bei dem, wie der zeitgenössische Kunstkritiker Maxime du Camp schrieb, „durch eine außerordentliche Schwäche des Gedächtnisses der Künstler, der nach lebendem Modell gearbeitet hatte, vergaß, Füße, Beine, Schenkel, Bauch, Hüften, Brust, Hände, Arme, Schultern, Nacken und Kopf darzustellen“.

Im Tabernakel

Der Flexibilität des französischen Fiskus ist es zu danken, daß das anstößige Werk – dessen Ruhm dem medialen Ansturm nackten Fleisches mühelos widerstanden hat – ab kommenden Montag in der Salle Courbet des Musée d'Orsay für jedermann/frau zugänglich sein wird. Hinter dickem Glas und beschützt von einem Wachmann in doppelter Funktion. Er soll Ikonoklasten abschrecken und die Reaktionen des Publikums beobachten. Vorausgegangen ist ein Deal der Finanzbehörden mit den Erben des französischen Psychoanalytikers und Philosophen Jacques Lacan: das Bild gegen die Erbschaftssteuer. Lacan hatte „L'Origine du Monde“ in den fünfziger Jahren erworben, wahrscheinlich über eine russisch-deutsche Connection. Das Werk hatte nach 1945 zunächst als verschollen gegolten, nachdem es der vorherige Besitzer, ein franco-ungarischer Aristokrat, nach Budapest mitgenommen hatte. Lacan erwies dem aus Angst und Verlangen gemischten Abwehrsyndrom seine ironische Reverenz. Er bestellte bei dem Maler André Masson, einem Mitglied der Familie, eine Verhüllung gleichen Formats (46 mal 55), eine Art zusammenschiebbares Faltbild, auf dem die Umrisse des Originals gezeichnet waren und auf dem zu lesen stand: „Bild zur Verhüllung des Ursprungs der Welt“

Schon der Auftraggeber von „L'Origine du Monde“ hatte den Gegenstand seiner Begierde versteckt: hinter einem grünen Tuch sagen die einen, hinter einer Winterlandschaft samt eingeschneitem Schloß sagen die anderen – ein Tabernakel also.

Bettler und Huren

Der Käufer war Khalil Bey, ein türkischer Exdiplomat, der fest entschlossen war, sein riesiges Erbe in seiner Wahlheimat Paris durchzubringen. Dabei half ihm seine Mätresse Jeanne de Tourbey, deren Schönheit ebenso notorisch war wie ihre Geldgier. Khalil Bey war aber nicht nur der Verschwender, kaltblütige Spieler und Erotomane, als den ihn die auf die „Geheimnisse des Orients“ versessene Journaille porträtierte. Er war ein gebildeter, reformorientierter, ironischer Mann, der auf die hochmütige Frage eines französischen Diplomaten, ob ihm nicht die Verhältnisse in Paris gänzlich anders als die in Konstantinopel erschienen, antwortete: „Durchaus nicht, wir sind genauso rückständig wie Sie.“ Und Khalil Bey war Sammler, mit exquisitem Geschmack und zahlungskräftig. Kein Wunder, daß auf der Auktion, die dem (durchs Spiel verursachten) finanziellen Ruin Khalils folgte, von Delacroix bis Courbet die bedeutendsten Maler der ersten Jahrhunderthälfte, oft mit ihren Meisterwerken, vertreten waren.

Als Khalils Geliebte Jeanne de Tourbey sich ihren Orientalen angelte, brachte sie als Mitgift einen ganzen Rattenschwanz von Verehrern ein. Künstler und Intellektuelle, unter ihnen Sainte-Beuve, der berühmte Kritiker, Philosoph und Anhänger des technokratischen Utopisten Saint-Simon. Sainte- Beuve wiederum war in den 60er Jahren in den Bannkreis Gustave Courbets geraten. Ihn faszinierte das nie verwirklichte, Ideen der mexikanischen Maler-Revolutionäre vorwegnehmende Projekt Courbets, die neu entstandenen großen Bahnhöfe in „Moderne Tempel der Malerei“ zu verwandeln. Ansichten der Städte, die von den Zügen passiert wurden, sollten abwechselnd mit Porträts ihrer berühmten Söhne und Töchter, mit „pittoresken, moralischen, industriellen und metallurgischen Themen“, wie Sainte-Beuve begeistert an einen Freund schrieb. So war es Sainte-Beuve, der Courbet schließlich bei Khalil Bey einführte.

Courbet stand zu diesem Zeitpunkt im Mittelpunkt ästhetischer Kontroversen, deren Kern aber politisch war. Er hatte zu Beginn der 60er Jahre mit seiner „Rückkehr von der Konferenz“ – einem Bild, das bezechte Kleriker auf dem Nachhauseweg zeigte – den konzentrierten Haß der Ultramontanen auf sich gezogen. Sein Realismus wurde von der Kunstkritik deshalb so schroff angegriffen, weil die Handwerker, Fischer, Bettler und Huren, die er malte, nicht verkleidete Idealgestalten waren, sondern tatsächlich – PlebejerInnen. Er galt als Kleckser, seine Malweise als infantil. Nach dem Urteil von Delécluze, einem damals berühmten Schüler des Revolutionsmalers David, waren seine „Badenden“ so häßlich, daß „nicht einmal die Krokodile sie aufgefressen hätten“. Aber obwohl Courbet sich unter dem Einfluß des utopischen Anarcho-Sozialisten Proudhon nachhaltig den „Elenden“ zuwandte, erschöpfte sich seine Malerei keineswegs in der von Proudhon propagierten Frühform des sozialistischen Realismus. Er widerstand der Typisierung ebenso wie der Einengung des Sujets. Khalil Bey war der Inbegriff dessen, was Courbet ablehnte, und dennoch zögerte er keinen Moment, eine Reihe von Bildern, darunter einige bedeutende Akte, an ihn zu verkaufen. Das hing nicht nur mit der exorbitanten Entlohnung zusammen. Bereits in Courbets 1856 entstandenem „Mädchen an der Seine“ sind homoerotische Bezüge fühlbar. „Venus verfolgt Psyche mit ihrer Eifersucht“ (ein Titel, dessen mythologischer Bezug ironisch auf Ehrbarkeit abzielt) und noch mehr die „Schlafenden“ behandeln dann ohne Scheu lesbische Liebesbeziehungen.

Schön und begehrenswert

Das Thema war seit Baudelaire en vogue, wenngleich verzerrt durch die (männlichen) Bedürfnisse und die Furcht derer, die es behandelten. Auch Khalil Bey gehörte zu den Liebhabern des Genres, er erwarb die beiden letztgenannten Werke. „L'Origine du Monde“ selbst geht auf einen hinreißenden Akt Courbets von 1861, die „Frau mit den weißen Strümpfen“ zurück, der perspektivisch auf die Vulva zentriert ist, „L'Origine“ radikalisiert diese Perspektive. Den (westlichen) Männern des 19. Jahrhunderts galt die Vulva meist als häßlich, häufig waren Phantasien, die mit ihr zusammenhingen, angstbesetzt. Nicht so bei Courbet, der sie schön und begehrenswert malte, wodurch er wieder mit Khalil Bey zusammentraf, dessen sexuelle „Sozialisation“ innerhalb des türkisch-arabischen Kulturkreises in die gleiche Richtung wies.

Proudhon, der früh gestorbene, hatte mit dieser „anderen Seite“ von Courbets malerischer Produktion keine Probleme. Sie war für ihn Entlarvungskunst, Attacke auf die „Lüsternheit“, der die herrschende Klasse frönte. Courbet dachte darüber etwas anders. In seinen „Maximen“ aus den 60er Jahren schrieb er „Es ist nützlich, mit allen Klassen der Gesellschaft zu leben, statt für eine von ihnen Partei zu ergreifen. Das ist der Weg, die Wahrheit herauszufinden, das eigene Urteil zu stärken und seine Vorurteile loszuwerden.“ Christian Semler

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