Die Duma dampft, Jelzin studiert den Kalender

■ Rußlands Parlament „empfiehlt“ die Entlassung dreier Minister, will aber bis zum nächsten Mißtrauensvotum und der dann zu erwartenden Auflösung noch warten

Moskau (taz) – Er befürchtete für gestern einen „explosiven Tagesordnungsbrei“ im russischen Parlament: eine Vertrauensfrage, ein Amtsenthebungsantrag und eine Mißtrauenserklärung. So äußerte sich noch am Morgen der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Staatsduma, Wladimir Issakow. Allerdings kam der gesetzgeberische Molotow-Cocktail nicht zustande. Die Deputierten verabschiedeten nur eine Empfehlung an den Präsidenten, die drei „Machtminister“ — Verteidigungsminister Gratschow, Innenminister Jerin und Geheimdienstchef Stepaschin — zu entlassen. Über den Amtsenthebungsantrag gegen Jelzin konnte wegen der wochenendlichen Leere der Abgeordnetenreihen nicht verhandelt werden: Die Kommunisten und einige Abgeordnete von „Rußlands Wahl“ haben zwar schon mehr als die für den Antrag selbst erforderlichen 150 Deputiertenunterschriften gesammelt, aber weniger als die 226 Stimmen, die nötig wären, um den Antrag auch auf die Tagesordnung zu setzen. Sich weise geduldend, beschlossen die Deputierten auch, die Frage ihres Vertrauens für Ministerpräsident Tschernomyrdin bis zum 1. Juli zu überschlafen. Tschernomyrdin selbst besteht auf der erneuten Abstimmung, nachdem ihm die Duma am Mittwoch ihr Mißtrauen ausgesprochen hat. Wenn ein Mißtrauensvotum noch einmal zustande kommt, droht die Auflösung des Parlaments durch Jelzin.

Trotzdem zeigten sich die meisten Fraktionen gestern konfrontationsbereit. „Die Regierung fürchtet, ihre Macht zu verlieren, aber die Duma hat ja bekanntlich keine Macht und deshalb überhaupt nichts zu verlieren“, kommentierte der taz gegenüber Ex- Außenhandelsminister Sergej Glasjew von der Demokratischen Partei, der das erste Mißtrauensvotum ausgeheckt hatte.

Die zögerliche Entwicklung in Moskau fand ihr Echo in Grosny, wo tschetschenische und russische Militärs über dem Verhandlungstisch fingerhakeln. Vertreter beider Seiten nahmen bereits gegebene Zusagen zurück: Dudajews Generalstabschef Als Maschadow hatte sich am Mittwoch pro forma bereiterklärt, den Russen den „Ober-Terroristen“ von Budjonnowsk, Schamil Bassajew, auszuliefern; der Menge vor dem OECD-Stützpunkt in Grosny erklärte er aber gleich darauf, Bassajew werde kein Haar gekrümmt. Der russische Unterhändler und Kommandierende der Föderalen Streitkräfte, General Anatoli Kulikow, gab seinerseits zu verstehen, daß er sich nicht mehr an den gegenwärtig herrschenden Waffenstillstand gebunden fühle, falls er Bassajews nicht bald habhaft werde. Barbara Kerneck