Der Schlips neben Frau Stahmer

■ Gesichter der Großstadt: Christian Hoßbach will mit Krawatte der SPD-Kandidatin zum Sieg verhelfen / Dabei fürchtet er nur Räucherstäbchen und Freiheitskämpfer

Sozialdemokraten bereiten Wahlkampf möglichst ohne Krawatten vor. Wenn sich die Basis nachmittags in Schulen trifft, in stickiger Luft die Verteilung von Flugblättern organisiert und den Sinn adressierter Wahlbriefe hinterfragt, dann kommen auf zwei Dutzend Aktivisten und Aktivistinnen im Höchstfall drei Schlipsträger. Und mit Sicherheit trägt nur ein einziger einen Anzug: Christian Hoßbach, 32 Jahre alt, Wahlkampfmanager der SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer. Die Genossen duzen sich, nur Hoßbach spricht von „Frau Stahmer“, wenn er Ingrid meint.

Seit die SPD-Sozialsenatorin im Februar bei einer Urwahl von ihrer Partei zur Diepgen-Herausforderin hochkatapultiert wurde, gibt sie kaum eine Pressekonferenz oder ein Interview ohne Hoßbach. Der Mann mit Brille schweigt meistens, aber immer schreibt er viele kleine Notizblöcke voll.

Er habe selbst einmal für eine bundesweite Zeitung der Jungsozialisten (Jusos) gearbeitet, erzählt Hoßbach, der es einst bis zum stellvertretenden Juso-Vorsitzenden in Berlin brachte. Nun beobachte er die Sichtweise von Journalisten, aber auch das Auftreten seiner Kandidatin. „Was bleibt an Substanz von dem, was gesagt wird?“ fragt er und er weiß, daß auch Ingrid Stahmer versucht, ihre Worte selbst dann glänzen zu lassen, wenn sie nichts vorzutragen weiß. Nicht nur, daß der über ein Meter achtzig große Mann bei wichtigen Terminen dabei ist, er läßt auch niemanden zwischen sich und die Kandidatin. Im Zweifel müsse er eingreifen können: „Auch Politiker sind nur Menschen.“

Wenn Stahmer ein Interview gibt, beginnt Hoßbachs Arbeit schon lange vorher. Dann nimmt er den Telefonhörer in die Hand und läßt sich von der Redaktion schildern, wie der Raum aussieht, in dem Frau Stahmer gefilmt oder fotografiert werden soll. Seine Angst etwa jüngst bei einem Streitgespräch mit der bündnisgrünen Spitzenkandidatin Sibyll Klotz in der taz, das eine ARD-Kollegin filmen wollte: Beide Kandidatinnen könnten in den Räumen der taz, so die schreckliche Vorstellung von den Redaktionsräumen in der Kochstraße, in den durchgesessenen Polstern eines Plüschsofas versinken, vor ihnen ein Nierentisch mit drei rußenden Räucherstäbchen, über ihnen ein zerknittertes Plakat des lateinamerikanischen Freiheitskämpfers Che Guevara. Westberliner fürchteten noch immer das Bild vom „rot-grünen Chaos“, fürchtet Hoßbach. Und das Fernsehen mit seinen Bildern habe eine „unheimliche Macht“.

Der Mann, der Volks- und Betriebswirtschaftslehre studiert hat und sich vor kurzem noch bei der Treuhandanstalt mit dem ehemaligen ersten Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi um die bessere Vermarktung von Ostprodukten kümmerte, ist nicht ganz zufällig Stahmers Trainer geworden. Schon 1989, als Walter Momper nach den Wahlen überraschend mit der damaligen Alternativen Liste eine rot-grüne Regierung bildete, zählte er zur Wahlkampfcrew. An diese Zeit erinnert er sich gern, denn der Momper- Wahlkampf sei so sorgfältig geplant und wohlorganisiert gewesen „wie sonst bei keiner Wahl“.

Der heutige Bausenator Wolfgang Nagel hatte mit weiser Voraussicht das damalige Team bereits zwei Jahre zuvor, 1987, zusammengestellt. Hoßbach war damals 24 Jahre alt. Kurz nach der Wahl wurde er Sprecher des Magistrats in Ostberlin. Ein anderes Crew-Mitglied übernahm die Pressestelle der Westberliner Senatskanzlei: Werner Kolhoff – heute Lokalchef der Berliner Zeitung.

Damals fing auch die Geschichte mit der Krawatte an. Hoßbach erinnert sich noch genau an diesen Tag im Januar 1990, als er ein Parteimitglied bitten mußte, ihm das Textil zu binden. Er war auf dem Weg zu einer Delegiertenversammlung der DDR-SPD und wollte den jungen Genossen in Wollpullovern und mit hennagefärbtem Haar zeigen, „wo's langgeht“. Eine Krawatte, sagt Hoßbach, symbolisiere Ernsthaftigkeit und Machtorientierung. So soll ein Schlips helfen, Frau Stahmer die Türen auf dem Weg ins Rote Rathaus zu öffnen. Dirk Wildt