Fünfzehn Staaten, null Leistung

Da die EU während der französischen Ratspräsidentschaft fast nichts tat, müssen die Gipfelteilnehmer von Cannes vor allem sich selber in Szene setzen  ■ Von Alois Berger

Brüssel (taz) – Mit Blick aufs Mittelmeer streiten ab heute die 15 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Cannes um ihr Geld. Wieviel rückt die Europäische Union für Mittel- und Osteuropa heraus? Wieviel für die Mittelmeer-Anrainer von Marokko bis Syrien? Und bleibt etwas für die Entwicklungsländer übrig?

Im Prinzip sind sie sich einig – aber eben nur im Prinzip. Marokko liegt Spanien nun einmal näher als Polen – bei Deutschland ist es umgekehrt. Deutschland möchte, daß sich die EU im Osten großzügig zeigt, im nahen und fernen Süden aber knausert. Großbritannien will überall sparen. Frankreich und Spanien fordern ein deutlich höheres Engagement für die Mittelmeernachbarn wie auch für die Dritte Welt: Die für die nächsten fünf Jahre geplanten Finanzhilfen von 13 Milliarden Mark für die östlichen Nachbarn der EU bekommen den Segen aus Paris und Madrid nur, wenn auch die südlichen Anrainer mit mindestens 6, am besten 10 Milliarden Mark berücksichtigt werden.

Die gastgebende französische Regierung will den Blick der EU noch weiter nach Süden richten und verlangt mehr Geld für die Dritte Welt – freilich nicht ganz uneigennützig. Seit den Verträgen von Lomé im Jahre 1975 gehen die EU-Mittel fast ausschließlich an die siebzig sogenannten AKP- Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik), mit denen Frankreich aufgrund seiner Kolonial-Vergangenheit zumeist besonders enge, der französischen Wirtschaft durchaus förderliche Bindungen pflegt. Paris hält eine Aufstockung der Lomé-Hilfen von knapp 22 auf 24,5 Milliarden Mark für die kommenden fünf Jahre für „das absolute Minimum“, doch dagegen wehren sich Großbritannien und Deutschland, deren Regierungen lieber die EU- Hilfe kürzen und dafür die nationale Entwicklungshilfe aufstocken wollen, natürlich unter Berücksichtigung der eigenen Außenpolitik und Wirtschaft.

Der Streit ums Geld dürfte im heißen Cannes zumindest belebend wirken. Denn die halbjährlichen Gipfel sind normalerweise so etwas wie die Abschlußveranstaltung der Ratspräsidentschaft, die alle sechs Monate von einer EU- Regierung an die nächste wandert – und die Bilanz der Franzosen, die seit Januar präsidierten, ist wegen des monatelangen Präsidentschaftswahlkampfes über weite Strecken gleich null. Selbst die von Paris zum wichtigsten Thema der französischen Ratspräsidentschaft erklärte Fernsehrichtlinie, die der europäischen Filmindustrie Schutz vor Hollywood sichern sollte, liegt noch in der Schublade. Ab Juli ist nun Spanien an der Reihe, dessen Regierung zur Zeit schwer angeschlagen ist und auch mehr mit sich selbst als Europa beschäftigt sein dürfte.

Auf dem Gipfel in Cannes wird deshalb wieder einmal der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als Spitzenthema angeboten – ein Ritual, das schon auf den letzten Gipfeln abgespult wurde: Flammende Plädoyers sollen darüber hinwegtäuschen, daß Beschäftigungspolitik im wesentlichen Sache der Regierungen und nicht der EU ist. Helmut Kohl und John Major werden sich für eine Deregulierung des Arbeitsmarktes stark machen, die Kahlschlagsthesen des sogenannten „Molitor-Berichts“ – einer von der EU beauftragten Expertengruppe der Großindustrie – dafür ins Feld führen und damit den Eindruck vermitteln, sie hätten ein Konzept gegen die Arbeitslosigkeit. Andere werden die sogenannten „Transeuropäischen Netze“ aus der Schublade nicht realisierter Ideen ziehen: 1993 listete die EU-Kommission zehn grenzüberschreitende Verkehrsprojekte auf, die vorrangig verwirklicht werden sollten, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen und Arbeitsplätze zu schaffen. Auf den Gipfeln in Korfu und Essen wurden sie erst auf elf und dann auf vierzehn Projekte aufgestockt – Beispiele: der Brennertunnel oder die Öresund-Brücke zwischen Dänemark und Schweden. Der Gesamtaufwand für alle Projekte wird für die ersten fünf Jahre auf rund 170 Milliarden Mark geschätzt – und damit hat die Geschichte ihren Haken, denn öffentliches Geld sollen die Projekte nach Ansicht der Finanzminister nicht kosten, jedenfalls nicht viel.

Da Privatinvestoren trotz der beim letzten EU-Gipfel vereinbarten Anreize von 240 Millionen Mark jährlich immer noch nicht Schlange stehen, ist jetzt ein Streit darüber entbrannt, ob die „Transeuropäischen Netze“ überhaupt unter EU-Verantwortung fallen sollen: In diesem Fall müßte auch das Europäische Parlament mitreden dürfen. Und genau das wollen einige Mitgliedsregierungen, vor allem Frankreich und Großbritannien, schon deshalb nicht, weil sie bei Verkehrswegeplänen zu Hause nicht einmal die nationalen Parlamente fragen müssen. Vermutlich ist der Millionärsstrand von Cannes daher der falsche Ort, um von den Staats- und Regierungschefs einen Fortschritt bei der Weiterentwicklung Europas zu erwarten.