Busse und Bahnen gewinnen

Betriebswirtschaftlich defizitärer öffentlicher Nahverkehr erwirtschaftet gesamtwirtschaftlichen Nutzen / Kfz-Berechnungen fehlen noch  ■ Von Hannes Koch

Berlin (taz) – Bus- und Bahnbetreiber gehen in die Offensive. „Man könnte die Autofahrer zur Finanzierung des Nahverkehrs heranziehen“, schlägt Rüdiger vorm Walde, Chef der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) vor. Ähnlich äußerte sich bei einer Anhörung von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus der kaufmännische Leiter der Stuttgarter Straßenbahnen AG Peter Höflinger. Aber er fügte gleich an: „Das ist sehr schwierig durchzusetzen gegen Daimler- Benz und die Stuttgarter Autolobby.“ Der neue Mut der Bahnmanager fußt auf einigen Gutachten, die das Bild des chronisch defizitären, auf ständige Zuschüsse aus kommunalen Kassen angewiesenen Nahverkehrs korrigieren. So bescheinigt die Unternehmensberaterin Claudia vom Scheidt den Stuttgarter Straßenbahnen, im Jahr 1993 einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen von 111 Millionen Mark eingefahren zu haben. Die betriebswirtschaftliche Bilanz weist dagegen eine Deckungslücke von 125 Millionen aus. Ähnlich verhält es sich in Köln. Der Zuschuß der Stadtverwaltung sei die eine Seite, die andere ein volkswirtschaftlicher Nutzen von 812 Millionen Mark jährlich. Der Berliner Bus-Chef Rüdiger vorm Walde taxierte gar den Nettonutzen seines Unternehmens für die Spreestadt auf „fünf bis sechs Milliarden Mark jährlich“ – räumte allerdings ein, daß er diesen Betrag nur „grob geschätzt“ habe.

Neue Straßen wären sehr viel teurer

Um den volkswirtschaftlichen Nutzen des Nahverkehrs zu ermitteln, ging die Unternehmensberaterin vom Scheidt so vor: Sie nahm an, daß die Stuttgarter Straßenbahnen ihren Betrieb komplett einstellen. Viele Leute stiegen aufs Auto um, was der baden-württembergischen Landeshauptstadt gigantische Kosten bescheren würde. Dank der Straßenbahn AG spart die Kommune diese Summen jedoch, argumentiert vom Scheidt, weshalb der Einspareffekt dem Unternehmen als gesamtwirtschaftlich wirksamer Nutzen oder auch Gewinn gutgeschrieben werden kann.

Ein Beispiel: Führen die Straßenbahnen in Stuttgart nicht, müßte die Stadtverwaltung jährlich 220 Millionen Mark zusätzlich für Straßenbau ausgeben. Von der Summe der ohne Busse und Bahnen notwendigen Ausgaben hat Claudia vom Scheidt die öffentlichen Zuschüsse, darunter auch den Verlustausgleich der Kommune in Höhe von 125 Millionen abgezogen und kam dann unter dem Strich auf den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Straßenbahn AG von 111 Millionen Mark.

Für das örtliche Verkehrsunternehmen hat das Institut für Verkehrswissenschaften der Uni Köln die Rechnung noch etwas weiter getrieben. Denn nicht nur die direkten NutzerInnen der Busse und Bahnen profitierten von deren Millionennutzen, sondern auch die Wirtschaft, ImmobilienbesitzerInnen und die AutofahrerInnen. Denn schließlich führen ArbeitnehmerInnen mit der Bahn zum Arbeitsplatz, für gut angebundene Immobilien ließen sich höhere Mieten erzielen und die Autos kämen schneller ans Ziel, weil dank des öffentlichen Nahverkehrs die Straßen nicht so verstopft seien. So sei es nur recht und billig, von diesen indirekten Profiteuren einen Ausgleich für den vom öffentlichen Nahverkehr erwirtschafteten finanziellen Nutzen zu verlangen.

AutofahrerInnen sollen für Nutzen zahlen

Hier beginnt die politische Diskussion. Der Stuttgarter Straßenbahn- Vorstand, Peter Höflinger, wies daraufhin, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer um zehn Pfennige pro Liter ausreichte, um die betriebswirtschaftlichen Defizite sämtlicher deutscher Nahverkehrsunternehmen auszugleichen. Nach Berechnungen des Kölner Uni-Instituts wären die AutofahrerInnen mit einem monatlichen Beitrag von zehn Mark zu belasten, sei es durch die zweckgebundene Erhöhung der Mineralölsteuer, der Parkgebühren oder den Verkauf einer Vignette an alle, die mit dem Auto ins Stadtgebiet fahren. Gerne erwähnen die Verkehrsunternehmer auch, wie man in Frankreich das Problem löst: In Paris kassiert die Stadtverwaltung von allen Unternehmen einen bestimmten Betrag pro Beschäftigten, der dann dem öffentlichen Verkehrssektor zugute kommt.

Die bahnfreundlichen Gutachten haben allerdings einen entscheidenden Haken. Bis heute hat niemand für eine Stadt wie Köln oder Stuttgart den gesamtwirtschaftlichen Nutzen des Autoverkehrs berechnet. Das Kölner Institut für Verkehrswesen arbeitet an einer derartigen Untersuchung, die bis Ende 1995 fertig sein soll. Die jeweiligen Kosten und Nutzen sind dabei je nach politischem Geschmack sehr verschieden interpretierbar. Ein millionenschwerer Nutzen des Lkw-Verkehrs ließe sich etwa dadurch belegen, daß der Transport von Lebensmitteln durch konkurrierende Speditionen die Verbraucherpreise senkt. Wenn sich auf diese Art auch für den Kraftfahrzeugverkehr ein volkswirtschaftlicher Nettonutzen herausstellte, wäre dem ÖPNV sein neues Argument schon wieder verlorengegangen. Bei der Anhörung der Grünen in Berlin warnte deshalb Axel Friedrich vom Umweltbundesamt die Verkehrsunternehmen: „Möglicherweise laufen Sie mit ihrer Argumentation in die Falle.“